19.06.2010

Lauter Hörner

Um Norwegen zu beschreiben reichen Worte oft nicht aus. Wie kann man eine Stimmung beschreiben, die mehr oder weniger dazu zwingt an Elfen, Riesen und Trolle zu glauben? Wenn der Nebel über dem Fjord liegt und zarte Sonnenstrahlen durch die weißen Wolken dringen kann nur einer diese Bild ausdrücken. Edvard Grieg mit seiner Peer Gynt Suite. Die Musik beschreibt detailreich, wie es oft hier aussieht. Mystisch, verzaubernd und doch irgendwie vertraut.

Wenn die Sonne um kurz vor Mitternacht im Meer versinkt, beginnt es hier zu dämmern. Bei schönem Wetter spiegeln sich die Berge im Fjord während deren Gipfel sich rosa färben. Stundenlang könnte ich dieses Schauspiel beobachten. Dabei dauert es nur wenige Stunden, bis die Sonne auf der anderen Seite der Berge wieder aufgeht und die die eben gleichen Gipfel von Osten her rosa färbt. Richtig dunkel wird es die ganze Nacht nicht. Dämmerig ja, aber in klaren Nächten nur so schwach, dass es unnötig ist, das Licht an zu machen, um vor dem Schlafen zu lesen.

Naturverbundenheit ist eine der norwegischen Volkseigentschaften. So gut wie jeder Norweger liebt es am Wochenende Wanderungen in die nahegelegenen Berge zu unternehmen. Das Netz der Wanderwege ist dicht und von familienfreundlichen Spaziergängen bis zu mehrtägigen Wanderungen für Extremsportler ist alles dabei. Ich habe mich bislang an die Zwischendinger gehalten. Tageswanderungen in die Nähere Umgebung. Das Emblemsfjell hat viele schöne Wege zu bieten. Zum Beispiel den Merafta Gipfel. 578m hoch, durch den dichtesten Blaubeerwald, der je von jemandem gesehen wurde, der nicht Hänschen heißt und mit immer wieder spektakulären Ausblicken auf den Storfjord, durch den langsam ein Kreuzfahrtschiff von seinem Geiranger-Ausflug zurückkehrt und der unendlichen Stille, wie sie nur auf einem norwegischen Berg herrschen kann. Kein Straßenlärm, keine Nachbarn, keine bellenden Hunde, nur ab und zu das Flügelschlagen eines Vogels oder das Rauschen der Blätter im Wind.
Je weiter der Weg in die Höhe führt, desto kleiner werden die Bäume, bald werden die Nadelbäume zu Krüppelbirken, die Wind und Wetter standhalten, die sich mit ihrem festen Wurzelwerk in die unwirtliche Landschaft graben und die Landschaft einfach norwegisch machen. Aber irgendwann sind die Bedingungen auch für diese zähen Zeitgenossen zu harsch. Mose, Gras und Flechten bestimmen die Vegetation. Es duftet nach Sommerkräutern und oben auf dem Gipfel ist der Lohn für den anstrengenden Aufstieg eine 360° Sicht auf das, was auf Postkarten und Kalenderblätter gedruckt ist. Fjord und Berge, noch immer einzelne Schneeflecken und ein unendliches Spektrum an Grün. Helles Grün, dunkles Grün, bläuliches Grün, bräunliches Grün, ineinander verschwimmendes Grün vor blauem Himmel oder in einer der Wolken, die sich auch immer mal wieder hier in der Gegend verirren und sich über ein paar Streicheleinheiten freuen.

Viele der Berge der Sunnmørsalpen heißen irgendwas mit Horn. Zum Beispiel das Sandvikshorn. Eine kurze Fährfahrt von der Stadt entfernt und dann heißt es Kräfte sammeln, um den Gipfel zu stürmen. Immer bergauf führt der Weg bis er im scheinbaren Nichts endet. Zum Glück hat der nationale Wanderverein rote Steine verteilt, die den Weg markieren. Der Weg führt direkt auf einen schmalen Grat zu, der zum Gipfel führt. Es fühlt sich fast senkrecht an. Jeder Schritt fast wie auf einer Treppe steil nach oben. Anstrengend, aber unendliche lohnend, denn jeder Schritt gibt eine neue Sicht auf die atemberaubende Landschaft. Der Eintrag ins Gipfelbuch darf am Ende des Aufstiegs genauso wenig fehlen, wie das Beweisfoto, dass wir da waren. Das Gefühl am Ende des Tages, frisch geduscht auf dem Sofa zu sitzen und die Bilder Revue passieren zu lassen ist auch noch mal ein Erlebnis für sich!

Ein weiteres Horn und vielleicht auch das bekannteste ist das Romsdalshorn. Nicht der höchste Gipfel mit 1550m, aber sicherlich einer der Gipfel, die so ziemlich jeder Norweger kennt. Zum Gipfel herauf führt die fast 1000m senkrecht emporsteigende Trollwand. Zwischen 1980 und 1986 sind hier circa 150 (todes-) mutige Fallschirmspringer in die Tiefe gestürzt. Ober etwaige Opfer muss man da nicht spekulieren. Aber es wird schon einen Grund haben, dass die norwegische Regierung das Springen von der Trollwand nach 6 Jahren verboten hat. Etwas aufregendes hat der Blick auf diese Wand auch von unten, ganz ohne Fallschirm, sondern auf sicherem Boden stehend.