Als ich frisch aus Nepal zurück war, hatte ich nur ein Ziel. Möglichst schnell wieder auf einen, am besten hohen, Berg zu kommen und tagelang zu wandern, ohne dabei ein Auto zu sehen. Armenien schien sich anzubieten. Nicht immer ist alles so, wie es auf den ersten Blick aussieht. Die Wanderwege in Armenien sind ja nicht unbedingt Wanderwege. Einige gibt es eigentlich gar nicht und andere sind eher Landstraßen. Dazwischen sind aber auch wundervolle Hirtenpfade, die fernab von Autos und Internet auf die Berge führen.
Und neben den Bergen, die mal hoch und steil, mal grün und hügelig sind, stehen immer wieder Kirchen und Kapellen, die zu den vielen (inzwischen verlassenen) Klöstern des Landes gehören. Armenien ist als erstes Land der Welt christlich geworden. Damals im Jahr 301 hat der armenische König kurzerhand bestimmt, dass sein Land von nun an christlich sein soll. Hat gut geklappt, denn heute, knapp 1700 Jahre später, wimmelt es im Land von christlichen Kirchen, Klöstern und Kapellen. Die meisten sind wohl schon etwas älter und werden zum Teil anderweitig genutzt, aber insgesamt prägt ein sehr christliches Bild das Land.
Eines der bekanntesten Kloster liegt in Geghard, gar nicht weit von Yerevan entfernt. Heute wird die Kirche von Unmengen Touristen besucht - klar, so dicht an der Stadt und ab und zu darf wohl auch mal jemand hier heiraten oder sein Kind taufen lassen. So richtig habe ich das Prinzip aber nicht verstanden. Als ich die Klosteranlage in Noravank besucht habe, kam da gerade so eine Taufgesellschaft, um ihr Baby taufen zu lassen. Völlig unbeeindruckt haben andere Touristen und Besucher sich weiter die Kirche angeguckt. Einfach anders, als ich es gewohnt bin.
Die Klöster von Haghpat und Sanahin sind weniger bereist. Sie liegen etwas dezentralisiert, fernab von der großen, quirligen Hauptstadt. Ich bin mit einer Reisegruppe dorthin gefahren. Auch mal eine Erfahrung. Morgens in einem kleinen Bus los, durch das halbe Land. Immer wieder wird der Unterschied zwischen den reichen Städtern und der eher armen Landbevölkerung deutlich. Ja ok, die Menschen leben schon in Häusern. Aber viele Autos habe ich nicht vor den einfachen Häusern parken sehen, dafür Eselkarren und getrockneten Mist, der als Brennstoff dient. Die Umgebung wird auf dem Weg nach Haghpat immer "sowjetischer". Es ist wie schon vorher häufiger. Irgendetwas löst in mir das Gefühl von Sowjetzeit/DDR aus. Merkwürdig... Dazu kommt eine trollske Stimmung mit Nebel und Nieselregen. Es passt gut zusammen. Das Kloster von Haghpat steht auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO. Es ist schon lange nicht mehr als Kloster in Betrieb, aber ab und an verirrt sich doch ein Tourist hierher. Der Ort an sich ist auch sehr speziell. Vielleicht hätte ich den eher auf die Welterbeliste gesetzt? Es gibt ein Oberdorf und ein Unterdorf. Eigentlich genau wie in Helgoland mit dem Oberland und dem Unterland. Nur hier gibt es keinen Fahrstuhl, der die beiden Ortsteile verbindet, sondern eine Seilbahn. Ursprünglich wurde die gebaut, um die arbeitenden Männer aus dem oberen - dem Wohnstadtteil - in den unteren - den Arbeitsstadtteil - zu befördern. Heute leben auch "unten" Menschen. Unten ist tief in einer Schlucht. Ob die Menschen hier jemals den Himmel sehen weiß ich nicht. Dichter Dunst, vermutlich nicht nur Nebel, sondern auch andere Schwebstoffe, verschleiern die Luft. So für einen halben Tag faszinierend, aber für länger?
Aber das Kloster, ja. Also nicht mehr als Kloster in Gebrauch. Mäßig gut erhalten.Hier und da hat sich die Natur zurückgeholt, was ihr vor vielen hundert Jahren mal genommen wurde. Es wachsen also Kletterpflanzen durch das Dach. Ich mag das ja leiden, auch wenn es nicht so gut für die Bausubstanz ist. Insgesamt ein recht großer und gepflegter Komplex, der in einen ganz normalen armenischen Friedhof übergeht. Auch wenn das Kloster nicht mehr als Kloster genutzt wird, wird die Kirche doch von der heimischen Bevölkerung genutzt. Gottesdienste sind hier ganz anders, man scheint kommen und gehen zu können, wie es einem passt und Interaktion zwischen Pastor und Gemeinde gibt es nicht. Aber Kinder werden in der Kirche getauft, Paare werden getraut und Tote beerdigt. Ich schlendere über den Friedhof und genieße, dass es anders ist, als die nordeuropäischen Friedhöfe. Die Grabsteine zeigen in der Regel das Bild des Verstorbenen. Gerne in einer Alltagssituation. Nicht immer steht Geburts- und Sterbedatum dabei. Und damit die Toten nicht weglaufen oder die bösen Geister auf dem Friedhof bleiben und nicht ins Dorf können (oder ganz simpel, damit die Schafe und Ziegen nicht auf dem Friedhof herumtrampeln) sind um viele der Gräber Zäune. Einige Familien konnten sich keinen adäquaten Zaun leisten und haben deswegen die Bettpfosten der Oma um ihr Grab gestellt. Ein bizarrer Anblick...
Auch das Kloster in Sanahin liegt auf einem Berg und wird nun mehr als Gemeindekirche benutzt. Besonders fasziniert hat mich der ehemalige Vorratsraum. Dort sind eine Art alte Kühlschränke eingebaut. Also Löcher im Boden, wo die Mönche ihr Essen aufbewahren konnten. Dort zu stehen ist so unwirklich. Im Nebenraum sind Priester und Mönche beerdigt. In früheren Zeiten wurden die Klosterangehörigen in der Kirche beerdigt. Da es damals üblich war, sich die Schuhe vor dem Betreten des Klosters auszuziehen, konnten sich die Mönche und Priester sicher sein, dass damals niemand mit Schuhen auf ihren Gräbern herumläuft.
Jedes armenische Kloster hat seine großartigen Besonderheiten und alle haben etwas ähnliches. In allen stehen Kreuzsteine, die an große heilige Menschen, Taten und Orte erinnern. Und in allen Klöstern und Kirchen ist der Altarraum erhalten und weiterhin als solcher zu erkennen. Fast überall lag ein Altartuch auf dem Altar. Und das nicht schon seit 1700 Jahren, sondern aller höchstens seit ein paar Tagen.
In einer Kirche habe ich mit einer Mischung aus Neugier und Erschrecken beobachten dürfen, wie eine Frau dem Priester ein Huhn gab, das er bitte opfern sollte. Eine andere Welt hier.