28.08.2014

Zurück in die Zukunft

Als ich morgens in Tatopani aufwache, muss ich feststellen, dass die Mücken es doch etwas übertrieben haben mit ihrer Feierei heute Nacht. Im Gesicht und an den Händen, sogar in den Handinnenflächen haben sie gefeiert. Der Rest war gut einpackt im Schlafsack. Die moderne Form von Schwitzkur. Echt, das ist der reinste Wellness-Urlaub. Blutegeltherapie, Schwitzkur - ich bin gespannt, was noch alles kommt.
Erstmal kommt der Bus, sogar einigermaßen pünktlich. Platz ist natürlich keiner mehr, aber 6 Stunden stehen macht ja auch Spaß. Mittags hält der Bus an einem Straßenrestaurant. Hier gibt es mal Fisch. Mmmh naja. Also die kleinen, im ganzen frittierten Fischlein sind ganz lecker - knusprig frittiert halt. Aber der andere, goldfischgroße Fisch, der mit Schuppe und Flosse (Haut und Haar haben die ja nicht) gekocht auf meinem Teller landet, ist mir suspekt. Ich kratze das Fleisch von den Gräten ab, während alle anderen alles von dem Fisch auf ihre Löffel löffeln. Immerhin war die Sauce so scharf, dass nichts drin überleben konnte.
In Pokhara finde ich mich in einer anderen Welt wieder. Es gibt asphaltierte Straßen, viele Privatautos, Geschäfte, in die man reingehen kann, Hotels, Cafés, Restaurants usw. Ich will wieder zurück in die Berge. Meinetwegen teile ich mein Bett auch wieder mit Mücken und meinen Weg mit Blutegeln.
Obwohl, die erste Dusche mit warmen Wasser war wirklich angenehm. Und auch die Klimaanlage ist nicht schlecht. Pokhara liegt direkt an einem See. So richtig einladend wirkt der See allerdings nicht. Eher wie ein grünbraunes Etwas, mitten in der Stadt. Nachdem ich mich mitten im Kulturschock wieder finde, fange ich an, mich damit abzufinden, dass ich jetzt hier bin. Als erstes finde ich die Massageklinik der sehenden Hände. Ein Institut, wo Menschen mit Seh-Losigkeit (oder wie heißt das jetzt politisch korrekt??), massieren. Die haben einen guten Job, verdienen ihr eigenes Geld und tun nebenbei was gutes. Zumindest mir tun sie was gutes. 3 Wochen unterwegs mit jeden Tag Rucksack tragen macht sich an etwas verspannten Schultern bemerkbar.
Jetzt steht mir ein ganzer Tag in Pokhara zur Verfügung. Als erstes gehe ich in das Mountain Museum. Mal geht der Strom, mal geht er nicht - aber die Ausstellungen sind wirklich toll. Als erstes eine Sektion zu den größten Bevölkerungsgruppen Nepals. Mit traditioneller Tracht, mit Instrumenten, Kochgeschirr, den Hauptfeiertagen usw. Das war mal ein guter Überblick. Hätte ich vielleicht ganz am Anfang gebraucht. Dann folgt eine Übersicht über alle 8000er und wer sie als erstes bestiegen hat. Klar, dass Sir Edmund Hillary da auch erwähnt wird.
Am besten gefallen hat mir die Einheit über die Entstehung und Veränderung des Himalaya. Tolles Gebirge, ich glaube, ich bin ein bisschen Himalaya-abhängig geworden.
Als ich weiter durch das - gerade mal schumrige-stromlose Museum schleiche, stehe ich plötzlich vor etwas haarigem. Tach auch, Herr Yeti! Der Yeti ist vermutlich eine Art Bär, den die völlig verhungerten Bergsteiger gesehen haben. Nur gut, dass ich immer so reichlich gegessen habe und nie diese Bären - Moment, habe ich Bären gesagt? Warum habe ich die eigentlich nicht gesehen? Och mann, blöde Viecher! Außer ein paar Blue Sheep (Gebirgsziegen) habe ich keine freilebenden Säugetieren gesehen. Wie immer wenn ich komme, verstecken sich die blöden Angsthasen. Hätte nicht wenigstens ein Schneeleopard oder ein roter Panda rauskommen können?Ich muss wohl wiederkommen, um sie zu sehen. Doch gar nicht so blöd von denen. 

Pokhara ist auch ein bisschen Tibet. Die größten Flüchtlingslager für Tibeter gibt es hier. Zu dem allergrößten der Lager fahre ich hin. Die Tibeter wünschen sich Besuch, es gibt Restaurants und Geschäfte auf dem Gelände und insgesamt macht alles einen sehr "aufgeräumten" Eindruck. Zuerst gucke ich mich durch ein paar Geschäfte. Klar, gibt vor allem irgendwelchen Touristen-Souvenir-Kram. Brauche ich eigentlich nicht, genauso wenig wie Teppiche oder Decken. Als ich an der Krankenstation durchs Fenster gucke, lädt mich die Ärztin gleich ein, einen Rundgang zu machen. Sie selber ist vor etwa 20 Jahren aus Tibet geflohen und arbeitet seitdem hier im Dorf, immer in der Hoffnung irgendwann wieder nach Tibet zurück kehren zu können. Ohh, da ist es wieder dieses Gefühl von Demut und Dankbarkeit. Offene Grenzen und mein Reisepass als Eintrittskarte in alle Länder der Welt - warum war ich noch mal unzufrieden? Die Arbeitsbedingungen scheinen ganz in Ordnung. Auf jeden Fall wirken die Behandlungsräume hell und sauber und der Krankenstube, die gerade nicht belegt ist, scheint sogar ein bisschen Intimsphäre zu bieten. Eine Neo haben die logischerweise nicht, dazu muss man in ein richtiges Krankenhaus. Vielleicht nächstes mal?

Und dann, ja dann ist auch der letzte Tag in Pokhara vorbei. Es geht weiter nach Kathmandu. Die Reise endet, wo sie begonnen hat. Jetzt heißt es einkaufen und ein bisschen Sighseeing. Und dann freue ich mich schon aufs Wiederkommen.

25.08.2014

Mitten im Urwald. So ganz anders als erwartet.

Die nächste Tour startet am Flughafen. Wie jetzt? Wandern am Flughafen? Naja, ich muss ja erstmal hinkommen und mit dem Bus fahren, würde mehrere Tage dauern. Inlandsflüge in Nepal sind ganz sicher ein Erlebnis der besonderen Art. Als erstes muss man seinen Schalter finden. In meinem Fall den von Simrik Air (darf übrigens NICHT in Europa landen). Dort stehen schon ganz viele Menschen und wedeln wild mit Armen und Beinen. Zur angegebenen Abflugzeit kommt ein Mensch mit einem Laptop und fängt an, die Passagiere und ihr Gepäck zu wiegen. Dann darf ich zum Sicherheitscheck. Ein kleiner, dunkler Raum und eine Security-Lady. Sie tastet mich sehr oberflächlich ab. Also eigentlich gar nicht. Und dann guckt sie in meinen Rucksack. Zumindest wirft sie einen Blick in das Hauptfach. Jetzt ist es schon eine Stunde nach angegebener Abflugzeit. Und immer noch kein Flugzeug da. Nach einer weiteren Stunden landet ein Flugzeug, das seine besseren Tage wohl schon erlebt hat. Schnell einsteigen, die Motoren werden nicht mal ausgestellt. Keine 10 Minuten hat der Bodenkontakt des Flugzeugs gedauert. Und dann geht es los. Würde man dem Flugzeug ein Messer unterschnallen, könnte man den Rasen auf den Bergen mähen. Und könnte ich das Fenster öffnen, könnte ich an den Berghängen zu meiner linken Seite, die Bäume und Blumen berühren. Ich genieße das bequeme Abenteuer und lasse mich von den wundervollen Ausblicken verzaubern. Himalaya in der Sonne und ich schwebe.
Statt mehrere Tage, dauert diese Reise nur 25 Minuten. Und dann sind wir in Pokhara. Puuh, warm und feucht. Ich fahre mit einem Minibus weiter nach Beni. Dort treffe ich meinen Guide. Der Trek muss immer mit einem lokalen Guide gegangen werden. Es ist ein Gemeinde-Projekt. Touristen sollen hier einen Guide mieten (der hat dann Arbeit) und in Homestays bzw Gemeindehäusern schlafen und dort auch essen (Gemeinde bekommt Geld). Die Einnahmen gehen direkt an die Gemeinden, die damit Solaranlagen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen finanzieren. Eine gute Idee, wie ich finde. Allerdings ist der Myagdi Parbat Eco Trek noch in den Kinderschuhen und durchaus ausbaufähig.

Die Wanderung startet in Galeshwar. Es geht von der Straße über eine Hängebrücke in den Dschungel. Es ist warm, um nicht zu sagen unsagbar heiß. Und feucht. Innerhalb weniger Sekunden bin ich nass geschwitzt. Dazu trägt natürlich auch der Weg bei. Es geht bergauf und zwar auf Treppen. 600 Meter höher sind wir am Tagesziel. Ich lüfte meine Füße und freue mich über eine gute Tasse Tee. Dazu gibt es Gurke, direkt aus dem Garten. Abgewaschen mit frischem Leitungswasser. Ich bin vollkommen kaputt und lege mich bis zum Abendessen hin. Das Dal Bhat ist wieder sehr lecker. Ich hatte mir etwas mehr Kontakt mit den Leuten bei denen ich wohne versprochen, aber das dauert bis zum nächsten Morgen. Vom Gemeindehaus bis zum Schlafhaus, muss ich durchs ganze Dorf gehen. Es ist dunkel und die Wege sind schmal und rutschig. Ich freue mich auf mein Bett. In meinem Zimmer erwartet mich schon Eddis. Ein kleiner Kerl mit schönem Pelz und eleganten, langen Beinen. Erstmal ein Foto. Dann suche ich den Reiseführer, weil der ein Lineal drin hat. Eddis Größe muss dokumentiert werden. Leider verschwindet Eddis bevor ich ihn zusammen mit dem Maßbahn fotografieren konnte. Zurück bleibt der kleine Bruder, der einer großen europäischen Spinne gleicht. Zum Glück habe ich so die Möglichkeit Eddis Größe zu dokumentieren. Ich bin so froh, dass ich so müde war, dass ich sofort eingeschlafen bin. Und das obwohl ich das Ticken und Tacken von Eddis Beinen gehört habe. Draußen zirpen die Riesengrillen und machen dabei einen Riesenlärm. Ich bin im Urwald, im Dschungel - ganz anders als ich Nepal erwartet hätte.

Der erste volle Wandertag im Urwald startet wieder mit Treppen. Puuh, es ist ganz schön anstrengend und warm. Neblig und feucht außerdem. Eine Pause an einem Tempel. Ich kann mich nicht mehr erinnern für welchen der 330 Millionen Hindugötter dieses Tempelchen geweiht war. Der Weg ist nur teilweise erkennbar und ich verstehe, warum ein Guide nicht nur für das Projekt, sondern auch für mich, unentbehrlich ist. Einige Teile des Weges sind einfach nur Matschlöcher. Das wiederum bedeutet, dass ich bis zu den Knöcheln, einmal sogar bis zu den Knien, im Matsch wate. Ich hasse es! Die Leute hier nutzen den Weg als Handelsweg. Alle ca 30 Minuten ist ein Rastplatz eingerichtet. Eine Art Steinhügel, oft mit einem großen Baum drauf, der Schatten spendet. Fast jeden Tag, habe ich meine 1,75 l Wasser schon vormittags ausgetrunken und bekomme im Mittagsrestaurant frisches Wasser. Das Gemeindeprojekt umfasst auch die Trinkwasserversorgung. Das Trinkwasser wird mittels eines einfachen Filters auch für europäische Bäuche verträglich gemacht. Auch wenn ich scheinbar von innen mit Asbest ausgekleidet bin, benutze ich lieber dieses System, als das Wasser direkt aus der Leitung zu trinken. Mal sind wir zum Mittag schon am Übernachtungsort, mal essen wir in einem Dorf Mittag und gehen dann weiter zum nächsten Dorf. Ab dem 3. Wandertag lerne ich eine neue Form von Naturmedizin kennen. Blutverdünnung aus der Natur... Scheinbar wirke ich nicht nur auf Mücken sehr anziehend, sondern auch auf Blutegel. Auf dem Weg nach Mohare Danda, einem gemeinschaftlich genutzten Gemeindehaus auf 3300m, sammelt sich eine ganze Familie zu einem großen Festmahl - an meinem linken Knöchel. Einige Abtrünnige finden sich an meinem Hals und an meinem Bauch. Das schlimmste ist der Gedanke daran, dass die Viecher an mir sitzen könnten. Ich könnte Schreikrämpfe kriegen. Aber haben sie erstmal angedockt, ist es gar nicht mehr so schlimm. Es heißt nur aushalten und die Egelchen irgendwann wieder abmachen. Am besten gehen sie ab, wenn man sie mit Salz betäubt. Ein Beutel mit Salz gefüllt, gehört auf jeden Fall zur Ausstattung. In Mohare Danda angekommen, sitze ich auf den Stufen vor dem Gemeindehaus und tupfe vorsichtig auf dem Egelfest an meinem Fuß herum, bis alle Tiere losgelassen haben. Dann heißt es warten. Warten, bis es aufhört zu bluten. Komprimieren hilft nicht. 1,5 Stunden lang blutet. Blutverdünner aus der Natur. Es soll ja gesund sein. Jetzt muss ich wirklich sehr, sehr gesund sein. 
Das Wetter ist nur zum Teil auf meiner Seite. Es ist meistens bewölkt und zwar mit den Wolken direkt um mich herum. Wo sind denn jetzt diese tollen Berge hin? Und dann plötzlich, morgens in Mohare Danda, tauchen die Gipfel wieder auf. Was ist es, was mich an diesen Bergen so fasziniert? Kaum steckt einer dieser Giganten seinen Gipfel durch die Wolken, bekomme ich Herzklopfen. Und eigentlich kann ich mir doch nichts schöneres als das Meer vorstellen. Nepal, Du brauchst ein Meer!
Nach dem Höhenerlebnis von Mohare Danda, geht es erstmal wieder bergab. Und irgendwann sind wir in Swanta. Ein unscheinbares Örtchen, dachte ich erst. Der Ausblick von meinem Zimmer ist grau. Ich kann die Wäsche auf der Leine sehen und den Garten, in dem Mais, Kohl und Kürbis (noch nicht reif) wachsen. Der Mais wir gerne gegrillt und dann als Snack gegessen. Wenn man Hunger hat, schmeckt doch alles extrem gut...

Statt Dal Bhat gibt es auch mal Dhindo, eine Pampe aus Buchweizen. Oder das gleiche aus Mais. Jeweils als Ersatz für den Reis beim Dal Bhat. Also gibt es den Brei, Linsen, Curry und ab und zu auch mal Fleisch. Mal Wasserbüffel, mal Ziege, mal Hühnchen. Aber immer sehr, sehr lecker. Mittags entweder Chapati unterwegs oder wir gehen essen. 



Ach ja, Swanta. Abends regnet es. Und zwar richtig, nicht so pillepalle Regen, wie oft in Europa. Es ist ein wahrlicher Wolkenbruch. Ich kuschel mich derweil in meinen Schlafsack und verschlafe so das meiste vom Gewitter. Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist es hell. Heller als die Tage zuvor und direkt vor meinem Fenster stehen sie. Fishtail und andere Berge des Himalaya. Zum Weinen schön. Leider zieht es sich im Laufe des Morgens wieder zu. Aber hey, ich habe diese wundervollen Berge gesehen und die Bilder in mir gespeichert. Vor Stromausfall und Serverdefekten geschützt.

Nach dem ersten Egelangriff habe ich von dem Gemeindevorsteher in Nagi eine Flasche bekommen, deren Inhalt ich auf meine Schuhe reiben sollte. Das sollte die Tierchen abhalten, über die Schuhe an meine Beine zu kommen. Nach der 3. Behandlung scheint es auch zu klappen. Kein Blutegel saugt sich mehr an meinen Beinen fest. Allerdings merke ich auch bald, dass meine Knöchel wehtun. Hilft nix, ich muss weitergehen. Abends - dieses mal in Khopra Danda, 3660m hoch - entdecke ich warum meine Beine so brennen. Da, wo die behandelten Schuhe mit mir in Kontakt gekommen sind, wölbt sich die Haut in Blasen. Oh man, was mache ich denn jetzt mitten im Himalaya mit Terpentinverätzungen an den Beinen? Pflaster drauf und weiter, oder?! Genau. 

In Khopra Danda steht ein weiteres Gemeindehotel. Allerdings ist das gerade nicht in Betrieb. Übernachten dürfen wir trotzdem. Und was zu essen gibt es auch. Abends wird der Ofen angemacht und die Schuhe können trocknen. Plötzlich ist es kalt. Was so ein bisschen Höhe doch ausmacht. Auch hier regnet es wieder die ganze Nacht und am nächsten Morgen zeigen Fischtail und Annapunra South, dass sie auch noch da sind. Ein würdiger Abschluss der Wanderung. Denn jetzt geht es nur noch bergab und zwar wieder mal Treppen. Puuh... 2500m bergab und mit jedem Meter wird es wärmer und feuchter. Und technisch zivilisierter. Strom gab es überall, meistens aus Solaranlagen. Aber je weiter wir nach unten kommen, je mehr Strommasten gibt es. 

Soll der Urlaub jetzt zu Ende sein? Noch warten ein paar Tage in Pokhara auf mich. Aber erstmal nach Tatopani, der Ort der warmes Wasser heißt. Hier gibt es eine einbetonierte warme Quelle, wo man baden kann. Und eine Straße und morgen wohl auch einen Bus, der nach Pokhara fährt. Ab jetzt wieder blutegelfrei, dafür erfüllt von Eindrücken. Dankbar und mein Blut großzügig mit Millionen Mücken teilend, schlafe ich eine letzte Nacht zu den Geräuschen des Urwalds ein.

16.08.2014

Auf der anderen Seite

Da sitze ich nun, auf der anderen Seite des Kang-La Passes und habe vor allem Lust wieder auf die ruhige, einsame Seite zurückzugehen. Naja, den Pass von der Manang-Seite hoch will ich auch nicht. Und eigentlich bin ich auch ein bisschen gespannt, wie es weiter geht. Aber es war halt so extrem schön besonders in der Einsamkeit von Meta, Nar und Phoo.

In der Gegend von Manang wird viel Buchweizen angebaut. Die Felder leuchten in strahlendem Rosa - so sieht also Buchweizen aus. Hatte ich noch nie so wahrgenommen, aber es sieht wirklich gut aus. Manang ist wieder ein richtiges Städtchen, mit Einkaufsläden, einem Kino (funktioniert gerade nicht) und einer Gesundheitsstation (in der Hauptsaison arbeitet sogar ein Ausländerarzt dort, der Wanderer mit Höhenkrankheit und/oder Gastroenteritis behandelt). Unser Hotel hat einen großen, leider auch kalten Aufenthaltsraum. Nach und nach kommen immer mehr Menschen und es wird voll. Ganz schön anstrengend. Ich gehe lieber früh ins Bett. Wieder mal spielt der Regen eine leise Schlafmelodie. Die Melodie spielt auch am nächsten morgen noch. Och nee... Chiya, Chapati und los. Im strömenden Regen. Wir laufen die 4 Stunden durch. Ich will keine Pause machen, ich will ins Trockene. Mein Reiseführer hat irgendwas von 5-6 Stunden geschwafelt und ich bin unendlich erleichtert, als wir Yakkharta viel früher als ich erwartet hatte, erreichen. Das Guest House ist ähnlich wie das in Manang. Es gibt einen großen Aufenthalts- und Essraum und auf der anderen Seite der Straße sind die Schlafzimmer. Ich verbringe einen Teil des Nachmittags im Aufenthaltsraum. Irgendwann ist mir aber so kalt, dass ich erstmal eine Runde schlafen muss, um mich wieder aufzuwärmen. Nachmittags ist dann mal eine kurze Regenpause und ich kann ich einen Spaziergang durch den Ort machen. Der Ort besteht eh nur aus der einen Straße mit ein paar Hotels rechts und links. Am Ortsausgang ist wieder eine Manimauer. Wenn es doch nur etwas heller am Himmel wäre...
Um nicht weiter an den Regen denken zu müssen, gehe ich wieder früh ins Bett. Da ich aber den halben Nachmittag geschlafen hatte, wird die Nacht eher unruhig. Ach wofür hat man denn viele Bücher mit? Ich kann ja auch von 2-3 Uhr lesen. Und dann weiterschlafen, bis 6.30 Uhr. Dachte ich. Um kurz vor 5 klopft es an meine Tür? Was in aller Welt will die Welt so früh?? Pasang?? Hä? Oh die Berge sind zu sehen? Innerhalb von Minuten bin ich fertig angezogen und stehe auf der Straße. Es ist halb hell und Anapurna 2-4, sowie Teile von Gangapurna strahlen mich an. Wow! Dafür stehe ich gerne auf. Ich gucke und gucke und gucke. Das ist unbeschreiblich. Der Himalaya steht vor mir und lacht mich an. 
Und ich lache zurück. Die Wolken der letzten 2 Tage sind verschwunden und der Himmel ist dermaßen unschuldig blau, als könnte er gar nicht grau sein. 
 
 

Nach dem Frühstück geht es los in Richtung Thorung La Highcamp. Teepause inklusive. Es ist herrlich warm und sonnig. Der Himmel ist blau und die schneebedeckten Berge strahlen mich an. Da kann mich nicht mal die chinesische Schokolade verschrecken (die wirklich erschreckend ist - Adventskalenderschokolade ist dagegen eine Delikatesse, mmhhhh). Die letzte halbe Stunde zum Highcamp geht wieder mal steil bergauf. 4900m über meinem Zuhause sitze ich in der Sonne, trinke Tee und fühle mich unsterblich. 

Nach dem Mittagessen geht es noch auf einen kleinen Aussichtspunkt, keine 10 Minuten vom Hotel entfernt. Die Aussicht ist umwerfend. Das ist so schön, dass ich gar nicht weiß wohin mit all diesen Gefühlen. Das unbeschreibliche in Worte fassen. Also ja... Es ist schön. Nee das reicht nicht. Das ist viel zu lapidar. Es ist wunder-wunder-wunder-schön? Nee, auch nicht genug. Dieses Bild von den bunten Gebetsfahnen im Wind, vor dem himalaya-blauen Himmel mit den 8000m hohen Bergen im Hintergrund, bleibt einfach unbeschreiblich, herzschmelzend, seelenbelebend, phantastisch. Hier berühren sich wirklich Himmel und Erde. Und ich bin hin und weg. Immer wieder muss ich meine Augen zu machen, um sicher zu sein, dass die Bilder weiter vor meinem inneren Auge auftauchen, auch wenn mein äußeres sie nicht sehen kann. Ja, die Bilder bleiben. Und sie bleiben so majestätisch, so anmutig, so groß und so schön. Unvergesslich.
Landschaftlich weiß ich mal wieder nicht, wo ich eigentlich bin. Klar, Himalaya, aber eigentlich hätte ich hier nicht diese sandigen, rutschigen Berge erwartet. Und diese Wellen im Berg, die waren in meiner Erwartung auch nicht da. Aber sie passen hierher. Bei den vielen kleinen Türmchen muss ich auch einen bauen. Nur so als Vorsicht, damit mich kein Troll auf dem weiteren Weg mit Steinen bewirft. Ca 5000m hoch, jetzt gibt es auch hier keine Bäume und Sträucher mehr. Nur noch Flechten, Moose und kleine Blümchen.
Die Sonne scheint, als wollte sie es wieder gut machen, dass sie so lange nicht da war. Es hätte keinen besseren Tag geben können, als ausgerechnet diesen einen, um hier zu sein. Sicher wäre die Aussicht wo anders auch toll gewesen, aber eben nicht ganz so besonders wie hier.
  

Ich habe Lust das Sonnenaufgangserlebnis vom Kang-La zu wiederholen. Also wollen wir am nächsten morgen früh los. Der Weg ist langweilig, kein Sonnenaufgang, keine Yaks. Nebel und Wolken begleiten uns. Anstrengend ist es vor allem mental, nicht körperlich. Und dann sind vor auch schon auf dem Pass. Alles ist mit einer Schicht Raureif bedeckt. Frisch... Fast ein bisschen enttäuscht bin ich, hier zu sein. Klar, stolz auf mich und meine Beine, aber Thorung La ist kein Vergleich zu Kang-La. Thorung-La ist der breiteste Pass der Welt. Ich merke gar nicht, dass ich hier auf zwischen 2 Bergen stehe. Es ist eine weite Ebene. Schade. Nach den obligatorischen Bildern gehen wir weiter. Weiter, zurück in die Zivilisation. Ob ich das will? Nein, ganz sicher nicht. Ich würde wohl eher umdrehen wollen. Aber so ist das Leben, es geht weiter, nicht zurück. Der Weg runter ist weniger steil als der Weg runter vom Kang-La Pass. Vielleicht sogar ein bisschen langweilig. Nach 3 Stunden ein kleiner Schock - ein Baustellenfahrzeug. Die wollen eine "Straße" zum Pass hoch bauen. Naja, Trollstigen gibt es ja auch. Wäre wohl ohne Straße nicht so berühmt und vielleicht noch schöner. Puuh, eine Straße. Autos, Menschen... Vielleicht könnte ich ja doch zurück??

Muktinath ist ein Schmelztiegel der Religionen. Der Tempel hier wird von Hindus und Buddhisten gleichermaßen geheiligt. Klar, dass ich da auch hin muss. Liebe Inder, warum bestätigt ihr eigentlich immer wieder aufs neue meine Vorurteile? Wo Inder sind, da liegt tonnenweise Müll herum. Wir kommen in Muktinath an und stolpern als erstes durch dicke Müllberge. Auf den Bänken am Ortsausgang sitzen Inder (Pilgerstätte für Hindus - klar dass da auch Inder kommen wollen) und werfen ihren Müll einfach hinter sich. Ich bin in solchen Momenten so abgrundtief enttäuscht von der Welt.

Nach einer kurzen Pause im Hotel, geht es zum Tempel. In einem der vielen Tempelchen brennt ein ewiges Feuer. Also der Tempel wurde um eine winzig kleine Naturgasquelle herum gebaut und da brennt ein Flämmchen. Sieht chic aus, weil drunter ein Wasserpfützchen ist. Aber die große Erleuchtung habe ich da nicht erfahren. Pasang weiß noch einen weiteren Ort. Dzong, nur eine Stunde entfernt. Er meint, dort würde es mir besser gefallen. Bingo - dort gefällt es mir viel besser. Kein Tourist stört, kein Inder wirft seinen Müll achtlos in die Gegend und alles scheint noch "echt" zu sein. Ich darf mir das Kloster angucken. Wieder mal bunte, sehr naive Bilder an den Wänden und ein meditierender Buddha vorne. Der Abt des Klosters setzt sich im Hof dazu und erzählt über die Schule und seine Mönchskinder. Er leitet dieses Kloster und die Schule, die 35 Kindern ein Zuhause und eine Zukunft bietet. Sie haben sogar ein Klo, strahlt er stolz. Mein ganzes ich sitzt demütig da. Ein Klo!!! Mann, was will ich eigentlich? Ich habe doch alles. Ein Klo!!!
Ich darf im Klostergarten Aprikosen vom Baum pflücken. Lecker!!! Die letzten 2 Wochen habe ich kein Obst gegessen, fällt mich jetzt auf. Gab es einfach nicht. Erst im Nachhinein merke ich, dass ich es vielleicht doch vermisst habe. Oder halt, dass diese Aprikosen jetzt besonders gut sind. Mit dem Gefühlsgemisch aus Demut und Dankbarkeit gehe ich zurück.

Die letzte Etappe auf meinem persönlichen Annapurna Circuit geht nach Jomsom. Es ist warm, staubig und geht nur bergab. Statt auf der Straße laufen wir am Ufer des Flusses, der nach Mustang fließt. Pause im Hilton Hotel. Der Tee ist lecker, aber ich würde doch fast noch lieber den Yakbuttertee trinken, wenn ich noch mal auf die andere Seite der Berge könnte. Jetzt! Statt dessen geht es weiter nach Jomsom. Pasang kauft Pfirsiche. Die sehen wirklich lecker aus. Meine Bakterienflora wird sich freuen. Besonders, weil ich den Pfirsich auch noch an einem Straßenwasserhahn abwasche. Und was machen die kleinen Bakterien? Sie vertragen sich gut, mit allen, die schon da sind. Asbest scheint dagegen ein sehr empfindliches Material zu sein...

Das Tal in dem Jomsom liegt, ist ein Windkessel. Jeden Tag, ab ca 10 Uhr fängt der Wind an. Er pustet den ganzen Tag bis er nachts irgendwann abflaut. Daher wird der Nachmittagsspaziergang auch sehr luftig. Schön ist der Ort nicht. Eine Straße mit Autos und Motorrädern und Hotels daneben. Und eine Kaserne. Kein Geld für Schulen, aber Kasernen bauen. Och Nepal... Wähl mich zum Diktator, ich bring das in Ordnung.

Tja und jetzt? Soll das Abenteuer Annapurna vorbei sein? Vermutlich schon. Zumindest für dieses mal. Denn ich plane schon wieder zu kommen. Zu sehr hat mich dieses Fleckchen Erde fasziniert. Der Urlaub ist aber noch nicht vorbei. Eine Dschungelwanderung wartet noch auf mich. Nix wie hin!



14.08.2014

Vielleicht doch ein bisschen Tibet?

In Koto lerne ich das erste mal die gesamte Prozedur des Registrierens. Pass, Permit, special trekking permit for restricted areas und ne Menge Geduld braucht man. Da sitzt ein Beamter in seinem Kontrollhäuschen (und 2 gucken ihm dabei zu, während 4 den beiden beim Zugucken zugucken…) Der Kontrollbeamte macht sich einen Vermerk in sein Buch (dauert 3 Sekunden) und dann dürfen wir offiziell eintreten in das Nar-Phu-Valley. Erstmal geht es steil bergab, in einen dichten Nadelwald. Die Luft ist angenehm klar und es riecht nach frischem Holz. Herrlich. Neben dem rauschenden Bach oder reißenden Fluss laufen wir eine Stunde gemütlich entlang. Dann riecht es irgendwie nicht mehr so wie vorher. Eklig, aber fremdvertraut und doch irgendwie gut. Was ist das? Der Geruch ist graugelb, aber ich komme nicht drauf, was es ist. Bis Pasang mich fragt, ob ich einen kleinen Schlenker zu den heißen Quellen machen möchte. Klar, da kam der Geruch her. Eklig, fremdvertraut und doch irgendwie gut. Hängen viele gute Erinnerungen dran, an diesem Geruch. Wir lassen das Gepäck am Weg stehen und klettern über die Steine im Fluss. Dann dampft es. Richtig baden finde ich ein bisschen gefährlich, weil der Fluss wirklich reißend vor sich hin strömt. Aber auf einem Stein sitzen und ein Fußbad, das geht. Kokoscandy und Schokolade teilend sitzen wir da so auf den Steinen, gucken den Adlern in der Luft zu und genießen das Hier und Jetzt. 

Nach einiger Zeit sind die Füße ganz schrumpelig und wir klettern wieder zurück. Der Weg geht weiter durch die enge Schlucht. Ich habe das Gefühl, nur bergab zu gehen. Dabei soll unser Ziel, Meta, doch 400m höher liegen als Koto. 

Auf dem Weg begegnen wir einigen Maultierkarawanen. Die tragen das Holz aus der Schlucht in die Zivilisation. Holzabbau ist hier nur während der Monsunzeit erlaubt.  Ich hoffe, die Leute halten sich dran. Denn der Wald ist beeindruckend. Der Weg ist angenehm zu gehen. Einmal führt er sogar hinter einem Wasserfall vorbei. Andere Abschnitte klammern sich an die Felswand, führen unter Überhängen durch und sind ein bisschen abenteuerlich. Zum Mittag, heute haben wir Chapati, Ei und Käse mit, setzen wir uns in die Sonne. Die Landschaft ist karg, trotz der Bäume. Heller Sand und Pflanzen, die ich noch nie gesehen habe. Es gefällt mir.

Nach der Mittagspause gehen wir noch ein Stück auf relativ ebenem Grund, bevor es plötzlich steil bergauf geht. Warum genau wollte ich noch mal so einen Urlaub machen? Hatte ich nicht vorher schon vermutet, mich für die Entscheidung einen Wanderurlaub in den Bergen machen zu wollen, zu hassen? Ich bin kurz davor. Der Berg will nicht enden, meine Motivation ist so deutlich zu sehen, wie die Gipfel des Himalayas – nämlich gar nicht. Langsam kämpfe ich mich, Stück für Stück weiter. Nach einer schier endlosen Stunde zeigt Pasang auf weiße Fahnen (eigentlich Schals, aber von hier sieht es aus wie Fahnen). Da wollen wir hin. 20 Minuten später erreichen wir tatsächlich diese weißen, flatternden Wimpel. Die Bewohner von Meta haben hier eine Gedenkstätte errichtet. Hier kann man einen weißen Schal um die Chorten binden und an die Toten denken. Nach einer großzügigen Portion Schokolade finde ich den Ort hinreißend. Irgendwie fühle ich mich magisch verbunden. Merkwürdig und absolut unabhängig von der Schokolade, die meine Laune deutlich gebessert hat. Und dann geht es schnell, bis wir in Meta sind. Der Ort besteht aus dem „Hotel“ und wir sind die einzigen Gäste. Die Menschen hier sind Tibeter, die die auf der nepalesischen Seite der Grenze leben. Willkommen in Tibet. Also doch ein bisschen Tibet. Es ist perfekt warm, ein bisschen windig und die Sonne scheint. Ich bekomme eine Tasse Tee und setze mich draußen auf die warmen Steine. Um mich herum höre ich den Wind und die Glocken der Pferde und Maultiere. Auf der anderen Seite der Schlucht ist ein Kloster. Am Ende des Tals ist Tibet. Und in die Richtung wollen wir morgen gehen. Und wieder einmal denke ich an Goethe, hätte er seinen Faust hierher geschickt, die ganze Nummer mit Gretchen hätte nicht sein müssen. Hier ist der Augenblick so schön, dass ich Tränen in den Augen habe. Bitte, bitte geh nicht vorbei, lieber Augenblick. Irgendwas zieht mich zu diesem Gedenkplatz zurück. Gemütlich spaziere ich dort hin und denke an alle die, die schon tot sind und nicht mehr hier her kommen können.  Dem Himmel so nah, vielleicht ist es das Gefühl, was in mir herrscht. 

Und Hunger, das Gefühl lässt sich auf jeden Fall leichter beschreiben. Kein Wunder, dass ich Hunger habe. Die letzte Mahlzeit ist schon wieder einige Stunden her. Ich gehe in die Küche, wo schon einige Leute sitzen und Tee trinken. Ein bisschen Bilder zeigen und meine Nepalikenntnisse präsentieren (Ich kann meinen Namen sagen, wo ich wohne und dass auf den Bildern das Meer ist und natürlich, dass ich das Essen mag, ganz wichtig.) und schon bin ich irgendwie mittendrin statt nur dabei. Ich fühle mich herzlich aufgenommen in dieser eigenartigen Familie, zu der auch die Arbeiter, die hier werklen, gehören. Auf dem Herd zischt der Reis im Dampfkochtopf, die Linsen und der Spinat sind auch gleich fertig. Als erstes bekomme ich mein Dal Bhat. Linsen und Reis und heute Spinat. Lecker. Dazu Chilipaste, jede Hausfrau hat da ihr eigenes Rezept. Dann bekommen die Männer ihr Essen und die Frau muss mit den Resten vorlieb nehmen. In diesen kurzen Moment hasse ich diese Welt. Als würde die Frau weniger arbeiten. Blöde Gesellschaft. Und trotzdem sind alle guter Dinge. Es ist genug zu essen da, es reicht sogar noch für die Hühner, die ab und an mal neugierig in die Küche kommen. Nach einer weiteren Runde mit Tee, macht sich einer nach dem anderen auf den Weg ins Bett. Ich lebe ein bisschen mit der Sonne. Aufstehen zu Sonnenaufgang, ins Bett gehen mit Sonnenuntergang. Also um 20 Uhr. 

Am nächsten Morgen – gegen 6 Uhr – habe ich wieder Hunger. In der Küche ist schon ordentlich was los. Auf dem Herd stehen eine Pfanne und ein Kessel. Klar, Tee muss sein. Und Chapati bäckt man in der Pfanne. Ich darf Chapati ausrollen (ungesäuertes Brot, besteht nur aus Mehl und Wasser). Ein bisschen zäh der Teig beim rollen, aber nach ein paar kreativen Formen, klappt es mit dem runden Brot. Schnell sind die Brote gebacken, ein bisschen nachrösten direkt in der Glut. Und dann wird plötzlich Öl in die Pfanne gekippt? Und neue Teigstücke reingelegt. Aha?! Ahh, es ist tibetisches Brot. Das wird frittiert. Bevor ich Pain frittes esse, hätte ich gerne einen Tee. Biiiiittteeeee. Ja, Tee ist in Arbeit. Aber der muss noch ziehen. Ich hypnotisiere die Kanne, zieh schneller. Dann scheint der Tee fertig gezogen. Auf jeden wird die Kanne vom Herd genommen und der Inhalt in ein hohes Gefäß gekippt, sieht aus wie ein Köcher. In meinem Kopf breiten sich Fragezeichen aus. Dann kommt weißes Pulver dazu. Milchtee? Ok, lecker. Und dann noch ein paar Klumpen von etwas gelb-braunem. Zucker? Klar, der Milchtee soll ja süß sein. Außen am Köcher ist eine Art Schlaufe dran. Die Hotelbesitzerin stellt sich in die Schlaufe und steckt eine Art Quirlstopfen in den Köcher und mixt den Tee durch. Nun denn, ich bin offen für neue Techniken, aber das ist doch wirklich sehr kreativ. Einen Augenblick später gießt sie den Tee in die Kanne, die schon auf dem Herd steht. Noch mal kurz aufkochen und dann bekomme ich den heißen Tee in meinen Becher. Guten Morgen, lieber neuer Tag. Jetzt kannst Du losgehen. Ich puste in den heißen Tee und habe in Gedanken schon den süßen Geschmack von Gewürzen auf der Zunge. Sehr hübsch ausgedrückt, bin ich überrascht als sich statt der süßen Gewürze, der Geschmack von leicht salzigen, müffelnden Käsesocken in meinem Mund ausbreitet. Was zum Geier … Tibetischer Yakbuttertee. Ein neuer Punkt auf meiner kulinarischen Erlebnisliste. Übrigens gehört es sich, dass der Becher immer wieder vollgeschenkt wird, wenn man ihn zur Hälfte leer getrunken hat. Hat einige Runden gedauert, bis ich das verstanden hatte. 

Gut gestärkt geht es durch den dichten Nebel Richtung Tibet. Irgendwann am Vormittag macht es plötzlich *pling* und die Sonne scheint vom blauen Himmel. Kan Garu, lugt vorsichtig hinter den Wolken hervor und begleitet uns ein Stück. Am Wegrand grasen Yaks. Ich fühle mich wie in einem Traum, einem Wunschtraum. Trotz der regelmäßigen Pausen, sind wir fix unterwegs, finde ich. Die Landschaft ist abwechslungsreich. Erst glaube ich, ein bisschen Alpenhochland zu sehen, dann Kalahari Wüste, dann Colorado. Alles ein bisschen, nichts passt richtig. Es ist und bleibt tibetisches Hochland. Halt nur auf der anderen Seite der Grenze. Scheinbar gehen wir bergauf, denn die Bäume verschwinden und weichen kurzen, dornigen Sträuchern. Am frühen Nachmittag stehen wir vor einem Tor. Dem Eintrittstor zum Phu-Tal. Man kann die Tür zumachen, hilft allerdings nur gegen weglaufende Ziegen, die Türen nicht öffnen können. Inzwischen wachsen am Wegesrand nur noch vereinzelte Sukkulenten. Und dann ist es da. Das Dorf in der Felswand. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben. Ich stehe mitten im Nichts. Um mich herum heller Sand und hohe Berge aus braunem Stein. Und vor mir liegt ein Dorf in den Berg gebaut. Tief einatmen, das ist die Wirklichkeit. Unser Hotel ist „einfach“, aber es reicht. Die Matratze ist vielleicht 0,5cm dick. Dann musste das arme Maultier wenigstens nicht so viel tragen. Jetzt erstmal ne Teepause. Was für Tee ich denn möchte. Milchtee, danke!

Wir laufen gut gestärkt mit Tee und Schokolade durchs Dorf. Ein kleiner Junge zeigt uns ein altes Kloster. Hier wohnen keine Mönche mehr und zum Beten kommt auch keiner mehr hierher. Dennoch ist der Ort so heilig, dass man ihn nicht verändern will. Mit eiskalten Füßen und vor Ehrfurcht zitternden Händen stehe ich in einem kleinen Gebetsraum und verbeuge mich vor den Buddhafiguren. Tief bewegt gehe ich nach einer Weile weiter. Das Dorf besteht aus vielen engen Wegen, die über abenteuerliche Treppenkonstruktionen rauf und runter führen. Auf dem Weg durch die schmalen Gassen, treffen wir eine alte, krummbuckelige Frau. Sie ist neugierig, wer ich bin und wo ich herkomme und was ich hier mache. Pasang übersetzt. Wir werden eingeladen zum Tee trinken. Puuh Milchtee, Glück gehabt. Hätte ich doch bloß mehr als ein Schächtelchen Lakritz, was ich ihr schenken könnte. Sie freut sich über das Ifa, so richtig ehrlich, nicht nur weil es sich gehört. Ob wir vielleicht das große Kloster sehen wollen. Sie muss eh noch hin, dann kann sie uns aufschließen. Na klar will ich das. Ich versuche diesen Kopftragekorb zu tragen. Boah, da ist fast nichts drin und ich kapituliere freiwillig nach wenigen Metern bergauf. Puuh, die Nepali tragen 25-35kg darin und das über viele Kilometer und bergauf und bergab. Mein Respekt steigt ins unermessliche. 20 Minuten später sind wir am Kloster und dürfen im Hauptgebetsraum eine Yakbutterkerze anzünden. Ich lerne mich „richtig“ zu verbeugen. Dann darf ich gucken. Alles ist bunt und ein bisschen naiv gemalt. Buddha sitzt wieder vorne und meditiert. Mein Kopf ist voller neuer Eindrücke. Wir schlendern ein bisschen durch den Klostergarten und gucken die vielen Mani-Steine an. Es ist ein bisschen bewölkt und nieselig als wir zurückgehen.

Im Hotel wird schon das Abendessen vorbereitet. Dal Bhat, was auch sonst. Der Hotelbesitzer zeigt uns einen Film, in dem sein Bruder die Hauptrolle spielt. Sein Bruder ist Guide und war schon über 50x auf dem Mount Everest. Er hält den Rekord im „oben ohne“ auf dem Berg stehen. Ich glaube, es waren 4,21 Minuten.

In der Nacht regnet es. Der Regen prasselt auf die dünnen Holzplanken und spielen so eine schöne Schlafmusik. Am nächsten Morgen geht es nicht „weiter“ sondern zurück. Schade. Auch wenn ich mich auf die Herausforderungen freue, die da auf mich warten. Der Regen der Nacht ist weggeblasen und wir laufen in der warmen Sonne. Phu liegt übrigens ca 4000m hoch. Das erste Symptom von Höhenkrankheit soll Appetitlosigkeit sein. Entweder es funktioniert bei mir umgekehrt, nämlich dass ich immer Hunger habe. Oder ich habe einfach keine Höhenkrankheit. Leichtfüßig gehen wir durch das Tal zurück. Gehen über Hängebrücken und auf schmalen Wegen. Kurz bevor mein Bauch Mittag verkündet, biegen wir ab. Wir wollen ja nicht ganz zurück nach Meta, sondern nach Nar. Durch weißen, feinen (rutschigen) Sand bis zu Hängebrücke, die hoch oben über der Schlucht thront und doch nur 3400m über dem Meer liegt. Nach einem kleinen Rundgang durch  das Kloster, flezen wir mit einigen Ziegen in der Sonne und genießen das mitgebrachte Mittagessen. Chapati und Kitkat. Eier gab es heute nicht. Und dann geht es bergauf. Nar liegt 4100m hoch. Jippih! Erstaunlich schnell und unanstrengend. Ich bin überrascht. Soll das so ein? Ehrlich, sind wir schon fast da? Oben erwarten uns eine Wolke und das Tor zum Dorf. Große und kleine Yaks grasen auf dem Weg und es geht flach weiter. Wow, was für ein großer Ort. Es gibt sogar 2 Straßenlaternen. Und das obwohl hier noch nie, nie, nie ein Auto war. Der Strom kommt zumeist aus Solaranlagen. Und ein bisschen aus Kerosingeneratoren. Heißes Wasser zum Duschen ist nur solargewärmt. Kühle Angelegenheit bei bedecktem Himmel. Zum ersten mal in meinem Leben dusche ich mit Mütze auf. Haare waschen verschiebe ich auf wärmere Gefilde.  Heute gehe ich besonders früh ins Bett. Morgen gehen wir vor Sonnenaufgang los. Um 3.30 Uhr aufstehen, damit wir kurz nach 4.00 Uhr loskommen. Kang La Pass, sei bereit.

Beim Aufbruch ist es stockfinster. Keine Sonne, keine Straßenlaterne… Nur mit dem Licht des Mondes und der Stirnlampen laufen wir durchs Dorf, aus dem Dorf raus und auf den Pass zu. Irgendwann gucke ich nach links und gucke direkt in 2 schwarze Augen, die mich interessiert mustern. Keinen Meter von mir entfernt steht ein Yak. Und noch eins und noch eins. Eine ganze Herde. Schon krass, was mein Gehirn alles an Eindrücken verarbeiten muss. Dieser Eindruck ist auf jeden Fall unter den ganz, ganz besonderes abgespeichert. Dann machen wir eine kleine Pause. Es wird heller. Geht ja ziemlich schnell hier. Kan Garu guckt mal wieder zwischen den Wolken hervor. Und dann macht jemand das Licht an. Ein rosarotorangener Lichtstrahl schiebt sich links vor den Berg. Wow. Sonnenaufgang im Himalaya. Ich muss ein bisschen blinzeln, weil alles in Glückstränen verschwimmt. Der Anstieg ist ziemlich anstrengend. Loser Kies und immer nur bergauf. Nach nur 4 Stunden sehen wir den Pass. Kurzer Fotostopp am Kang La Lake und dann die letzten Meter zum Pass rauf. Oh mein Gott, was bin ich stolz auf mich. 5320m hoch sitze ich auf dem Dach der Welt und kann mein Glück nicht fassen. Ich bin hier, ganz alleine hochgekommen. Nie hat ein Müsliriegel so gut geschmeckt, nie waren Kekse eine solche Delikatesse und nie vorher bin ich aus eigener Kraft so hoch oben gewesen.

Auf der anderen Seite ist eine weiße Wand. Bumm. Wolke. Kalt und feucht geht es weiter. Brr, das macht keinen Spaß. Der Weg ist steil und rutschig und mir ist kalt. Zum Glück wird mir beim Gehen warm. Und nach über 2000m bergab sind wir in der Zivilisation. Ich fühle mich fremd hier, gar nicht so vertraut wie die letzten Tage. Hier in Ngawal treffen wir wieder auf den Annapurna Circuit und damit auf die unvermeidlichen Touristen. Die Speisekarte im Restaurant bietet eine riesige Auswahl. Ich entscheide mich spontan für Dal Bhat. Pommes esse ich lieber in Belgien. Nach dem Essen gehen wir weiter nach Manang. Motorräder fahren an uns vorbei und unten im Tal liegt ein Flugplatz. Der ist allerdings nur saisongeöffnet und bestimmt nicht, während der Monsunzeit. Auf breiten Wegen kommen wir nach Manang. Das Hotel dort ist riesig und es sind viele andere Gäste da. Puuh. Ich mache erstmal einen kleinen Nachmittagsschlaf. Die Leute hier laufen alle den „Standard-Circuit“ und diskutieren lebhaft, wie anstrengend die letzte Etappe mit ihren 300 Höhenmetern war. Und was sag ich? 1300 Höhenmeter rauf, 2000 runter. Und ich fühle mich nicht so erschöpft, wie alle anderen erzählen. Von jetzt an, folgen wir auch dem Standard-Weg weiter.