01.08.2010

Das Dorf am Ende des Fjords

Statt geradeaus nach ENOV zu fahren, biegt man links am Kreisverkehr ab und fährt durch eine kleine Einsamkeit Richtung Sæbø. Die schmale Straße schlängelt sich durch ein enges Tal. Ein Slalomskigebiet zeigt wieder, wie hässlich der Sport doch im Sommer ist. Wie mit einem Rasierer sind die Berge kahlgeschoren. Der Straße führt immer weiter hinein in die Berge. Außer dem Asphalt erinnert hier nichts mehr an Zivilisation. Birken säumen den Weg. Ein See, türkisgrünes Wasser, in dem sich die hohen Berge spiegeln. In der Nähe donnert ein Wasserfall nach unten. In dem See leben jede Menge Forellen, die durch die Zimmer und Straßen des Vårseter Vollen schwimmen. Der See ist noch nicht alt. Er existiert erst seit dem 26.5.1908. An diesem Tag raste eine Lawine ins Tal und errichtete einen natürlichen Staudamm. Die Alm wurde unter Wasser gesetzt und ist heute noch in ihren Grundmauern im See zu erkennen. Ein bisschen gruselig und ein bisschen aufregend. Das Wasser ist so klar, dass man alles wunderbar erkennen kann. Der Weg, der zu den Häusern führt, die Zimmer und eben die Fische. Die Schafe, die am Ufer grasen kommen zum Auto und schnuppern einmal freundlich, bevor sie sich wieder dem grünen Gras widmen.
Ein paar Meter später und eine gefühlte Welt höher, sind plötzlich die Bäume weg und ein weiterer See zeigt das Spiegelbild der Berge. Hier, in Norwegens engstem Tal, sollen besonders schöne Almhäuser stehen. Aber wo? Dicht an den Berg geschmiegt zeichnen sich Dreiecke in der Landschaft ab. Wie mit der Natur verwachsen stehen die Häuser da. Gras auf den Dächern und eng in den Berg gedrückt, vor Steinschlägen und Lawinen geschützt, sind die Häuser fast unsichtbar. Das Tal wird auch Königinnental genannt. 8 Königinnen waren schon hier, um sich diese besonders enge Tal mit den spiegelnden Seen und den urigen Almhäusern an zu sehen.
Jeder 2. Ort in Norwegen ist auf seine Weise etwas besonderes. Sei es der nördlichste Ort von Mittelnorwegen, das engste Tal südlich von Trondheim oder der Ort, der die meisten Touristen in der Zeit zwischen Mai und August anzieht. Das Tal ist das Tal mit den meisten Besuchen durch Königinnen. Etwas ganz besonders eben. Egal wie besonders, es ist ein schöner Ort, der voller zauberhaufter Eindrücke besteht.
Fährt man die schmale Straße weiter, gelangt man nach Hellesylt, von wo die Fähre in den Geirangerfjord fährt. 100km von der Küste entfernt, mitten in den Bergen und doch riecht die Luft nach dem Salz des Atlantiks. Möwen begleiten das ausschließlich von Touristen bevölkerte Schiff. Aus den Lautsprechern klingen Edvards Griegs Klänge der Peer Gynt Suite, als wir an den 7 Schwester, dem Freier und dem Brautschleier vorbeischwimmen und uns dem Dorf am Ende des Fjords nähern. Hunderte Meter hoch ragen die Berge steil aus dem Wasser. Hier hat der Teufel eine Schlucht in die Felswand geschlagen, um sich vor dem Sonnenlicht des Frühjahrs zu verstecken. Verlassene Bauernhöfe halten sich in den steilen Felsen fest, von Lawinen und herabstürzenden Steinen bedroht. In vergangenen Zeiten haben sich die Bauern die Erreichbarkeit über Leitern zu Nutze gemacht, wenn der Steuereintreiber kam. Dann wurden kurzerhand die Leitern mit ins Haus genommen und der Steuereintreiber musste mit leeren Händen wieder über den Fjord rudern. Eine andere Geschichte erzählt von Kindern, die beim Spielen mit Seilen ans Haus gebunden werden mussten, damit sie nicht abstürzten. Heute spielt keiner mehr in den steilen Hängen des wohl bekanntesten Fjords der Welt. Die Häuser stehen unter Denkmalschutz und die Menschen haben sich ein freundlicheres und komfortableres Leben gesucht.
Das Dorf Geiranger ist nicht schön. Hotel reiht sich an Hotel und an vieles wurde gedacht, aber nicht an schöne Architektur. Ein kleiner Ausflug (weniger Flug als Fahrt) 1500m hoch lässt den Ort ganz anders aussehen. Von Dalsnibba aus sieht man die Hotels nicht mehr im Detail. Nur der dunkelblaue Fjord ist zu sehen, darauf die Kreuzfahrtschiffe eingefasst von den dunkelgrünen Bergen. Kühl ist es dort oben. Ein paar Wolken ziehen vorbei und die schier unendliche Weite lässt das eigene Ich ganz klein und unscheinbar erscheinen. Probleme schwinden in den Mikrometerbereich und der Blick auf die Großartigkeit der Schöpfung gelenkt.