26.09.2015

3 Gipfel in 2 Tagen

Als ich im letzten Jahr nach Urlaubsalternativen gesucht hatte, bin ich ja über den Ararat auf Armenien gekommen. Ein bisschen hat es gedauert, bis ich raus gefunden hatte, dass der Ararat in der Türkei liegt, der Aragat aber in Armenien. Würde man einen national-konservativen Armenier fragen, würde er die Frage wohl etwas anders beantworten, aber geopolitisch liegt der Ararat derzeit im Gebiet der Türkei.
Wie dem auch sei, ich wollte auf jeden Fall die 4000m auf einen der Aragat-Gipfel laufen. Das Berglein im Westen Armeniens ist ein alter Vulkan und hat sich bei einem früheren Ausbruch mal selbst in die Luft gejagt. Jetzt steht noch eine Art Krater mit 4 Gipfeln. Der niedrigste, der Südgipfel, ist leicht zu erreichen. Bis kurz davor geht eine mehr oder weniger gute Autostraße an deren Ende ein Hotel, ein astrophysisches Institut und eine meteorologische Station sind. Da das Wetter hier in der Gegend nicht immer stabil ist, werde ich die Nacht in der Wetterstation verbringen. Das ist nur so halb legal. Die Meteorologen, die hier arbeiten, vermieten 2 ihrer Räume. Schwarz versteht sich. Das finden die Hotelbesitzer nur so mäßig gut. Auch irgendwie verständlich. Allerdings ist der Preisunterschied so beeindruckend, dass ich nicht lange überlegen musste, wo ich lieber übernachten will.
Kurz das Bett gecheckt - hier werde ich nicht rausfallen... Und dann los auf die ersten zwei Gipfel. Ein entspannter Spaziergang auf den 3879m hohen Südgipfel. Der Weg ist gut, es ist nicht so steil und es laufen mehr oder weniger Menschenmaßen auf diesen Gipfel. Weiter geht es auf den Westgipfel. Ein schmaler Pfad führt mehr oder weniger senkrecht die Kraterwand hinunter. Anfangs versuche ich mich Schritt für Schritt den Weg runter zu arbeiten. Mit der Zeit geht es besser und ich laufe astronautenmäßig gleitend den weichen Sand runter. Nach 300 Höhenmetern stehe ich am Kraterrand und gucke in eine Mondlandschaft. Total faszinierend. Und dann heißt es, bergauf klettern. Während der Weg zum Südgipfel ein entspannter Spaziergang war, ist dieser Aufstieg ein Vorgeschmack auf morgen - wenn ich auf den Nordgipfel, den höchsten, den Hauptgipfel will. Es geht steil bergauf und ich muss mich oft mit beiden Händen festhalten, damit ich weiterkomme. Ich bin sehr zufrieden mit mir und der Welt, als ich nach knappen 1,5 Stunden auf 4001m Höhe stehe. Die kleine grau-schwarze Wand am Himmel lässt sich nicht ignorieren und ich beeile mich wieder in die Wetterstation zu kommen. Die ersten Tropfen erwischen mich doch. Begeistert bin ich nicht, aber unendlich erleichtert, als der Wolkenbruch wirklich losgeht. Die halbe Nacht schüttet der Himmel sich aus, Blitze zucken, es donnert. Und ich sitze im Warmen, trinke Tee und lasse es mir gut gehen.
 

Am nächsten Morgen hat es aufgehört zu regnen, als wir losgehen ist es kühl und beginnt gerade zu dämmern. Den ersten Teil des Weges kenne ich schon von gestern. Nach 2 Stunden sind wir am Südgipfel vorbei und auf dem Weg in den Krater. Nach dem ersten Schneefeld kommen wir zu einigen großen, flachen Steinen, die von der Sonne schon ein bisschen angewärmt sind. Hier ist es Zeit, eine Pause zu machen und zu frühstücken. Lavash, Käse, Paprika und Schinken, dazu die Musik der Stille. Hier ist nichts weiter zu hören als der Wind und hin und wieder ein paar Steine, die die Kraterwand runterrollen. Der Krater ist größer als, es von oben aussieht. Der Weg ist zeitweise ein wenig lang, aber was solls. Ich habe Urlaub und vor allem habe ich Zeit. Mitten im Krater blubbert eine kleine Quelle aus dem Boden. Hovik, der Bergführer versichert mir, dass man das Wasser ohne Bedenken trinken könne. Erst bin ich etwas skeptisch. Aber Horvik schwärmt so von dem Wasser. Mmmh, dann probiere ich es doch. Zum Glück war ich vorbereitet auf das, was mich da überrascht hat. Das Wasser schmeckt ganz deutlich nach Zitrone, naja und dann kommt ein etwas metallischer Nachgeschmack. Der ist nicht so lecker, aber dieses zitronige ist faszinierend.
Auf dem Weg die Kraterwand auf der anderen Seite hoch, höre ich das reichlich schäppernde geräuschartige Musik. Ich bin, milde gesagt, nicht sehr begeistert und will schon anfangen diese Alt-Männer-Gruppe aufs wildeste zu beschimpfen, als Horvik mit großen Augen stehen bleibt und lauscht. Bevor ich den Mund aufmachen kann, übersetzt er mir den Text des Schepperns - es geht um Freiheit, um die Möglichkeit ohne Angst seine Meinung sagen zu können. Im gleichen Atemzug fügt er hinzu, dass er diese Musik nur mit Kopfhörern in einem schallisolierten Raum hören würde. Alles andere fände er zu riskant. Schließlich wüsste man ja nie, wer mithört. Ui... Da habe ich ein bisschen was zum Nachdenken. Irgendwann werden meine Gedanken aber durch das Bergaufgehen in den Hintergrund gedrängt. Ich habe das Gefühl, mich aufwärts zu kämpfen und kein Stück voran zu kommen. Nach einer Weile gucke ich hoch und traue meinen Augen kaum. Da ist der Gipfel nur noch ein paar Schritte entfernt. Eine ganze Energiewelle erreicht mich und wutsch, bin ich oben. Erschöpft von den 5 Stunden, die es gedauert hat durch den Krater zu laufen und dankbar den undenkbar blauen Himmel sehen mit der strahlenden Sonne zum Greifen nah zu haben.
Klar, dass ich auch hier ein paar Erinnerungsbilder machen möchte. Während ich mich gut gelaunt mit der Kamera in der Hand hierhin und dahin drehe, packt Horvik Kekse, getrocknete Früchte und Schokolade aus. Kaum habe ich mich hingesetzt, kommen auch die 4 Herren. Beim genauen Hinsehen sind sie viel älter, als ich vermutet hatte, eher so Mitte/Ende 60. Einer von ihnen spricht mich auf armenisch/russisch an - er hat beides versucht, ich beides nicht verstanden. Genauso fließend wechselt er ins englische. Ich traue meinen Ohren kaum. Er stellt sich und seine Kameraden vor und fragt, wo ich herkomme und wie ich auf die Idee gekommen bin, in Armenien wandern zu gehen. Eine nette Unterhaltung bei Wasser, Keksen und Konfekt - logisch in den Bergen teilt man.
Nach einer Weile erzählt der älteste der Gruppe, dass diese 4 sich jedes Jahr 1-2 mal treffen. Ab und zu gehen sie wandern, mal verbringen sie nur einen Abend zusammen. Seit vielen, vielen Jahren machten sie das schon, seit sie sich in Sibirien kennengelernt hätten. Kumpelhaft klopft er seinem Nachbarn auf die Schulter und lächelt. Ich fühle mich plötzlich noch kleiner in dieser Welt. Weiter gefragt habe ich nicht, wie und unter welchen Umständen dieses Kennenlernen stattgefunden hat. Alle 4 Männer erzählen mit einer ungebrochenen Lebensfreude von Bergtouren bei Sonne und Regen von ihren Familien und Zelttouren am Sevan-See.
Nach einer Weile brechen wir auf. Wir wollen wieder in die Wetterstation, die 4 zu ihrem Zelt zurück. So trennen sich unsere Wege. Wenn ich jetzt ganz spontan einen oder mehrere Helden benennen sollte, dann diese 4 Freunde. Die werden ja keine Ferien in Sibirien gemacht haben... Bewegt von den Erlebnissen des Tages ist der Rückweg leider nicht kürzer als der Hinweg. Im Gegenteil, er ist steiler und gefühlt ein ganzes Stück länger. Irgendwann erreichen wir die Wetterstation und dankbar setze ich mich auf einen der Stühle, trinke die eine oder andere Tasse Tee. Lange wird der Abend nicht. Ich bin ziemlich müde und lustigerweise stört mich das rausfallsichere Bett jetzt auch gar nicht mehr.




13.09.2015

Ein bisschen Sowjetzeit ist geblieben

Jahrzehnte lang hat Armenien zur Sowjetunion gehört. Das hat die Menschen deutlich geprägt. Auch heute noch ist Russland ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Verbündete in der Welt. Die Armenier sehen in der Sowjetzeit die gute alte Zeit. Alles war besser damals. Tja, vielleicht war von außen gesehen nicht alles besser, aber für den einzelnen hatte die Rigidität der damaligen Zeit bestimmt was gutes. Die Analphabetenrate unter der "Erwachsenen" Bevölkerung ist erstaunlich gering, die meisten sprechen nicht nur Armenisch sondern auch Russisch. Gratis Schule für alle, eine solide Gesundheitsversorgung und einen (schlecht) bezahlten Job. Und dann kam die Wende, bzw. hier ja die Auflösung der Sowjetunion. Plötzlich haben die Menschen ihre Arbeit verloren, hatten keine Chance mehr auf Bildung und mussten plötzlich für die Gesundheitsversorgung selber aufkommen. Kein guter Tausch. Dass die dauernde Bespitzelung mit dem Zerfall der Sowjetunion ebenfalls aufgehört hat, wird geflissentlich übersehen. Viele junge Männer arbeiten - schwarz natürlich - in Russland auf Baustellen. Im Winter sind sie in Armenien und unterstützen die Heimbrennerei.

Nicht nur in den Köpfen, sondern auch in der Öffentlichkeit ist ein bisschen der Sowjetzeit geblieben. Es gibt ein UDSSR-Eis, Vanilleeis mit Schokoladenüberzug, essbar, aber nicht so lecker. Und die Stimmung in den kleineren Städten ist irgendwie wie in der DDR damals. Ich weiß auch nicht so genau warum. Als ich in Jermuk abends durch die Stadt geschlendert bin, kam es mir vor, als würde ich durch Neubrandenburg direkt nach der Wende laufen. Klar, die Häuser haben eine wunderliche Farbe, ein bisschen grau, aber doch nicht grau. Vielleicht ist es auch die Architektur oder der Aufbau der Stadt. Ich habe keine Ahnung. Es ist surreal...

In den meisten Orten sind Geschäfte, Apotheken und vor Autowaschanlagen nicht nur auf Armenisch, sondern auch auf Russisch ausgeschildert. Ich glaube, als Russe in Armenien Urlaub zu machen ist ne gute Idee.
Selbst beim Essen muss "der Russe" sich nicht umstellen. Zumindest gibt es in den großen Supermärkten ein reichhaltiges Angebot von Lebensmitteln mit russischer Beschriftung. In den Supermärkten ist die Zeit übrigens nicht stehen geblieben. Hier ist der Kommunismus längst in Vergessenheit geraten. Die Auswahl ist überwältigend. 5 Jahre real gelebter norwegischer Sozialismus mit staatlich regulierten Erscheinungsdaten für neue Waren haben ihre Spuren hinterlassen. Ich verbringe mehr als eine Stunde im Supermarkt und staune. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Neben einer reichlichen Auswahl an diversen alkoholischen Getränken, hat jeder Supermarkt eine Süßigkeiten Abteilung, die mich verführerisch anlächelt. Trotz gesteigertem täglichen Konsum, habe ich es am Ende des Urlaubs nicht geschafft, alles probiert zu haben.

Und wieder ein Vulkan

Kauft man in Armenien Mineralwasser in Flaschen, wird man unweigerlich auf "Jermuk" stoßen. Das Wasser kommt aus dem gleichnamigen Ort und soll wegen der enthaltenen Mineralien besonders gesund sein. Schmeckt ein klitzekleinesbisschen salzig, aber nicht schlimm. Getrunken hatte ich schon mehrere Liter Jermuk, bevor ich im Ort war. Ein kleines Dörfchen mitten im Nichts. Plötzlich steht vor mir ein riesiges Gebäude. Ein Hotel und lauter dicke Autos davor. Holla die Waldfee, es scheint eine Menge reicher Leute hier zu geben. Das Örtchen war zu Sowjetzeiten ein Kurort. Heute werden die Leute nicht mehr zwangsweise hierher geschickt, sondern kommen freiwillig, um sich in einem der Spas behandeln zu lassen. Es wimmelt gerade zu von armenischen, russischen und iranischen Touristen. Nur knapp 10km vom Ortszentrum - also dem größten Hotel - entfernt ist eine heiße Quelle in der man baden kann. Da geht es hin. Die Sonne brennt und ich wünsche mir ein bisschen Schatten. Ein Schild warnt vor den Bären, die hier wohnen. Zu gerne würde ich mal einen sehen. Aus sicherer Entfernung versteht sich. Nach nicht mal 2 Stunden und einigen Flussdurchquerungen ist das Quellchen da. Niedlich. Ein Loch im Boden, aus dem Wasser blubbert. Riecht nicht mal intensiv. Zum Test halte ich erstmal meine Füße rein. Das Wasser ist angenehm warm. Samuel hat heute morgen Fisch gekauft. Frisch aus dem Sevansee. Jetzt sammeln wir ein paar Zweige und Zapfen und machen den Grill an. Grillen ist Volkssport in Armenien. Auf allen Rastplätzen stehen Grills, mindestens 2. Auch hier an der Picknickstelle steht so ein metallenes Ungetüm. Schnell brennt ein Feuer und bald kann sich der Fisch auf dem Rost wenden lassen. Dazu gibt es, wie immer Lavash, Gurken, Tomaten und Paprika. Ein köstlicher Duft zieht durch die Luft. Der Geruch übertreibt nicht, dieser Fisch gehört zu besten, die ich je gegessen habe. Außen knusprig mit geschmacksexplosiver Marinade, innen saftig und zart. Dazu Tomaten, die so tomatig schmecken wie nichts anderes auf der Welt. Ein gelungenes Mahl. Abwaschen muss Dank Lavash-Teller nicht sein und so runde ich den Nachmittag mit Warmwasserplanschen ab. Wieder im Ort, mache ich noch einen Spaziergang und gucke mir die Mineralwassergalerie an. Das Thermalwasser kommt mit unterschiedlichen Temperaturen aus der Erde - genau so wird es auch gezeigt. Allerdings nicht mehr in der ursprünglichen Quellform, sondern aus Rohren in der Wand. Probieren darf man es auch. Schmeckt ein bisschen salzig. Ach, wie war das noch mal mit dem cook it, peel it or forget it? Ja genau, ich habe das kochen und abschälen vergessen. Ein paar neue bakterielle Bekanntschaften in meinem Bauch gehören zu einem guten Urlaub dazu. 

Am nächsten Morgen geht es mir gut wie eh und je - ich geb nichts mehr auf solche Leitsprüche. Frisch gestärkt nach einem mäßigen Frühstück geht es durch die Schlucht und dann weiter nach Stonehenge oder zumindest dem armenischen Äquivalent.

10.09.2015

In einem schwarzen Lada übers Land

Nach dem mir unverständlichen Ausflug nach Dilijan, weiter nach Tsaghkashen. Während Yerevan doch sehr westlich und modern war, ist in diesem Örtchen die Zeit stehen geblieben. Zumindest teilweise. Da die Winter hier auf über 2000m Höhe doch recht kühl werden können und die Häuser nur suboptimal isoliert sind, brauchen die Leute andere Heizmaterial. Kuhfladen eignen sich ja hervorragend dafür. Also gibt es vor jedem Haus aufgetürmte, getrocknete Kuhfladen. Der Strom, der durch die eine oder andere Wasserkraftanlage gewonnen wird, scheint ausnahmslos für die großen Nachbarn im Norden bestimmt zu sein. Die Gasleitungen laufen hier oberirdisch und machen alle paar Meter mal einen Bogen nach oben. Sieht ein bisschen speziell aus, aber scheint gewollt zu sein.
Bevor wir im Dorf Tsaghkashen ankommen, machen wir, im Nieselregen, einen Stopp auf dem größten Kreuzsteinfriedhof der Welt. Hier gibt es ca 900 Kreuzsteine oder Chatschkare, auf armenisch. Alte und neue, kunstvoll verzierte und weniger filigran geschmückte. Die kleinen wiegenförmigen Steine sollen Kindergräber sein. Ganz schön viele. Mmmh. Chatschkare sind nicht nur Grabstein sondern auch Erinnerungsstein. Sie können daran bzw an denjenigen, erinnern, der hier eine große Spende gespendet hat. Oder an einen militärischen Sieg. Oder daran, dass hier eine Brücke, Straße, Kirche fertiggestellt wurde. Beeindruckend sind diese Chatschkare auf jeden Fall. Es sind zum Teil große (2-3m hohe) oder kleine Steine, die als zentrales Symbol ein Kreuz haben. Der Rest des Steins ist vollkommen mit verschlungenen Mustern bedeckt, die Muster bestehen aus Weintrauben, Ranken, Tieren oder auch abstrakten Knotenmustern. Die neueren Steine haben oft eine Art Krone über dem Kreuz.
Leider hat Samuel nicht viel zu den Steinen zu erzählen und ich muss mir das meiste selber erlesen und zusammensuchen. Bezaubert von den filigranen Mustern der Steine und etwas enttäuscht von mangelnden Wissen meines Guides geht es weiter nach Tsaghkashen.
Wir werden herzlich empfangen und reichlich bewirtet. Pflaumen, Weintrauben und Äpfel aus dem Garten, dazu Unmengen an Keksen und Süßigkeiten. Auch wenn das Haus nicht so ganz unseren Standards entspricht, ist es doch gemütlich. Nur eben ein bisschen anders. Zentraler Raum im Haus ist - wie sollte es auch anders sein - die Küche. Die Einrichtung hat ihren ganz speziellen Charme. Nicht mein Stil, aber ich soll ja auch nicht da wohnen.
Nach der Teepause, ziehen wir los. Ein kleiner Spaziergang zu einer Wasserquelle. Die Landschaft ist plötzlich grün geworden. Seichte, grasbewachsene Hügel, dahinter ein paar höhere Berge. Wir laufen, wieder mal querfeldein, durch die Gegend, vorbei an Sommerhäusern von Kuh- und Schafhirten und immer wieder bergauf und bergab. Es regnet, neeeeiinnn, bitte nicht. Ich mag doch nicht im Regen laufen. Hört zum Glück schnell wieder auf. Um zu gucken, wie es hinter mir aussieht, drehe ich mich kurz um. Jetzt weiß ich, warum es auch mal regnen muss. Sonst hätte ich wohl diesen Regenbogen nie gesehen. Ein richtig schöner Bogen. Sogar ein doppelter Regenbogen und bei genauem Hinsehen hat er noch einen kleinen Nebenregenbogen. Da hat sich das Nass-werden gelohnt. Weiter bergauf. Eher psychisch anstrengend als physisch. Und irgendwann sind wir an der Quelle. Nun ja, da ist ein kleines Loch im Boden und da kommt Wasser raus. Ist ja ganz hübsch und wenn ich hier eh vorbeigekommen wäre, hätte ich auch sicher angehalten. Aber extra hierher zu gehen? Bestimmt kein 2. mal. Ohne lange zu zögern oder dem Augenblick hinterher zu hängen, drehen wir um und gehen zurück. Auf halber Strecke, also nach ca 1,5 Stunden, kommen wir wieder zu den Sommerhäusern. Vor einem der Verschläge spielen ein paar Kinder. Die Eltern kommen heraus und laden uns auf einen Kaffee und Vodka ein. Nicht gerade die Modernste und winddichteste Unterkunft. Aber wahrscheinlich genug für den armenischen Sommer. Oder? Ich weiß nicht. Festgetrampelter Lehmboden, ein paar Steine übereinander, ein bisschen Wellblech. Das ist das Haus. Sofort werden Lavash, Butter und Kekse auf den Tisch gestellt. Dazu Kaffee, Tee und Vodka. Und ich werde aufgefordert zu essen und zu trinken. Das Lavash ist nicht aus dem Supermarkt, das ist selbst gebacken. Genau wie die Butter. Die ist auch nicht gekauft, sondern stammt von den Kühen hier. Sehr, sehr lecker.
Die Hirten leben in den Sommermonaten hier draußen und passen auf, dass keiner ihre Kühe klaut. Leider kommt das immer wieder vor, dass Kühe oder Schafe verschwinden, deswegen muss immer jemand in der Nähe sein. Von Herbst bis ins Frühjahr, leben die Menschen in Dörfern in der Nähe und haben ihre Tiere dort im Stall. Ein ganz anderes Leben als meins. Ich möchte nicht tauschen.

Der nächste Morgen beginnt früh. Ich wollte ja gerne den Sonnenaufgang von unterwegs erleben. Leider kommen wir nicht rechtzeitig los, so dass es schon dämmert, als wir das Haus verlassen. Still schläft das Dorf als wir zwischen den Häusern entlang gehen. Bald geht es bergauf. Ein guter Treckerpfad, kein Matsch, keine Wurzeln, keine Stufen. Angenehm zu gehen. Die Sonne kriecht schnell über den Horizont und lässt den Himmel blau und die Wiese grün leuchten. Schön, so darf es bleiben. Auch hier werden wir von den Hirten sofort eingeladen. Es ist früh am morgen und ich möchte auf gar keinen Fall Vodka. Hilft nicht, ich bekomme welchen eingeschenkt. Seit gestern weiß ich ja, dass es funktioniert nur am Vodka zu nippen und so zu tun, als würde man trinken. Und wieder Lavash, Butter und Kekse. Verhungern werde ich hier wohl nicht. Der Oberhirte will mir noch seine Hunde zeigen. Behutsam zieht er 3 kleine Welpen aus einer Hundehütte. Die Hundemutter ist etwas skeptisch, lässt sich aber durch ein paar Streicheleinheiten schnell beruhigen. Die Hundebabys sind 11 Tage alt. Noch haben sie nicht mal die Augen auf. Tapsig und unbeholfen kriechen sie übereinander, bevor sie zurück in ihr Zuhause gesetzt werden. Ich glaube, die haben es gut hier.

Der Weg führt uns weiter nach oben. Nach 6 Stunden mag ich eigentlich nicht mehr. Jetzt ist es nur noch ein kleines Stück auf dem Bergrücken, bis zum Gipfel. Der Sand ist weich und gibt nach. Ganz plötzlich hat sich die grüne Graslandschaft in eine rot-schwarze Lavawüste verwandelt. Jedes mal wieder bin ich fasziniert von dem, was das Innere der Erde hervorbringt. Vulkane sind etwas unglaublich spannendes. Auf dem Gipfel angekommen, wird mit Tee und Keksen gefeiert. 360° Panoramaaussicht, hier und da ein kleiner See, die unterschiedlichsten Farben der umliegenden Berge und da, mitten im Nichts, auf dem Gipfel des Azhdahak-Berges, 3597m hoch, haben die Menschen eine Kapelle geschaffen. Ein Kreuz, ein paar Kerzen und einige Ikonen stehen windgeschützt in einem Verschlag. Irgendwie eine schöne Idee, hier oben so eine Art "Ort der Einkehr" zu haben. Nach der verdienten Pause geht es den bergab. Ein bisschen Regen, Schnee und Hagel sagen kurz Hallo und dann schnell wieder Tschüss. Abendessen - heute Suppe und Bratkartoffeln, dazu Lavash, Käse, Tomaten, Paprika, Gurke und Sucuk und dann schlummere ich auch schon. 13 Stunden draußen sein, 1500 Höhenmeter und alle nur erdenklichen Wetterlagen, machen müde.

Der Weg führt weiter nach Süden. An strategisch wichtigen Orten, sitzen immer Leute, die Obst, Honig, Nüsse und weitere Kleinigkeiten verkaufen. Gegen Mittag, sagt Samuel, sind wir an einem alten Hotel. Seidenstraßen solche "Karawansereien" oder eben auf neudeutsch, Hotel. Ein langer Raum mit Nischen für Mensch und Tier. Die letzten paar Tausend Jahre, ist es nur noch als Hotel und Fledermaus-schlafzimmer genutzt worden. Zumindest ist diese Unterkunft sehr idyllisch gelegen mit Blick über das Tal und im Hintergrund höhere Berge. Nach einem Picknick, steigen wir ins Auto, weil das nächste Ziel ein paar Stunden entfernt ist. Nach einer entspannten Fahrt sind wir an einem großen und sehr modernen Parkplatz. Neben armenischen, sind viele iranische Autos hier geparkt. Die Grenze zum Iran ist nicht weit und für Iraner ist Armenien ein beliebtes Urlaubsziel. Als wir an dem Hotel sind, bin ich etwas überrascht. Das sogenannte Hotel ist wirklich sehr alt. Es hat den Händlern, die die Seidenstraße gewandert sind. Laut der Infotafel gab es entlang der ganzen
Gleich hinter dem Parkplatz ist die längste Seilbahn der Welt. Über 5km geht die Fahrt über eine Schlucht zum sagenumwobenen Kloster von Tatev. Die Fahrt ist durchaus touristisch mit musikalischer Untermalung und Erklärungen zu dem was unter uns zu sehen ist. Und das gleich in verschiedenen Sprachen. Ein bisschen wie die Touristenfähre nach Geiranger. Am Kloster angekommen, bin ich enttäuscht von Samuels Nicht-Wissen. Ich suche mir meine Information so gut es geht, selber zusammen. Die alte Ölpresse ist nach fast schon skandinavischen Standards erklärt. Schlicht und erklärend ausgestellt, nicht überfrachtet und trotzdem so lebendig, dass ich mir vorstellen kann, wie das Leben hier vor 4000 Jahren war.

Das Kloster ist wieder ein riesiger Komplex, der wohl nicht nur Kloster, sondern auch Verteidigungsanlage und "Burg" war. Ein großer Innenhof, mindestens 2 Kirchen und die üblichen Klostergebäude. Das unglaubliche an dieser Anlage sind die Tunnel und versteckten Gänge. Die Tunnel verbinden das Kloster mit den umliegenden Dörfern. Das Tunnelsystem ist noch nicht in seiner Gänze erforscht und vermutlich liegen noch mehrere Kilometer Tunnel ohne unser Wissen irgendwo versteckt. Die Verbindungsgänge direkt im Kloster sind gut zugänglich. Ich erkunde die mal mehr und mal weniger engen Gänge und plötzlich stehe ich vor einem Loch in der Wand. Direkt vor mir, ist ein Abhang und die Boden ist mehrere hundert Meter weiter unten. Hui... In den oberen Etage sind an allen Fenstern Pechnasen oder ähnliche Feind-Abschreckungen angebracht.
Sehr spannend ist auch die Gavazan Säule. Das 8m hohe Steingebilde ist nach dem Hirtenstab der Schäfer benannt. Die Säule besteht aus mehreren Lagen aus Stein und reagiert auf jede noch so kleine Bewegung des Untergrunds. Die aufeinander gelegten Steinscheiben verschieben sich gegeneinander, machen Geräusche und weichen von ihrem ursprünglichen Muster ab. Auf diese Weise ließen sich Erdbeben und Invasionen vorhersagen. Eine gelungene Kombination aus Seismograph und Alarmanlage. Sobald die Erschütterungen vorbei sind, sollen die Steine wieder ihre Ausgangslage annehmen.

07.09.2015

Tja und nun?

Statt den Tag zu Fuß zu beginnen, steige ich in ein Auto. Mmhh, das wollte ich so eigentlich nicht. Aber vielleicht nicht ganz so doof, wenn wir am Sevan-See entlang wandern wollen. Nach etwas mehr als einer Stunde auf guten Straßen sind wir da. Rechts liegt der See, links dass was ich als Urlaubsidyll mit Sowjetcharme bezeichnen würde. Es ist, sagen wir, eine visuelle Zeitreise. Surrealistisch, das trifft es vielleicht am besten. Wir fahren aber nicht zu den Hotels, sondern zum Kloster, das auf einer Halbinsel im See liegt. Früher lag das Kloster mal auf einer Insel. Aber der Wasserstand des Sees ist so enorm gesunken, dass man jetzt trockenen Fußes zum Kloster kommt, ganz ohne Boot. Kurzer Irritationsmoment meinerseits, als ich meinen Guide frage, warum denn der Wasserstand gesunken ist. Die Erklärung: naja für die Bewässerung der Felder. Ja, soweit kann ich folgen. Schnell schiebt er ein, dass der Pegel seit Jahren stabil sei, weil man das Wasser aus anderen Flüssen nimmt. Vornehmlich aus Flüssen, die in die Türkei oder nach Aserbaidschan fließen. O-Ton Guide: dann haben nämlich nicht wir (Armenien) das Problem, sondern die anderen. Nee, ist klar.
Na gut, durchatmen, ich kann die Welt nicht so ohne weiteres retten. Aber das Kloster angucken, das kann ich. Auch hier, komme ich erstmal in einen Vorraum. In armenischen Klöstern heißt der Gavit. Und dann in die Kirche. Die Kirche ist schlicht. Der Altarraum ca 1m höher als das Kirchenschiff und mit einem Vorhang abgetrennt. Die Leute stehen in der Kirche. Ohne es zu wissen, bin ich in einen Gottesdienst gelaufen. Hinter dem Vorhang wird scheinbar gebetet. Die Gemeinde bekreuzigt sich hier und da, aber nicht synchron. Und immer wieder laufen Leute rein oder raus. Komisch, ziemlich ungewohnt und ganz tief im innersten finde ich es irgendwie unpassend. Aber auch ich schleiche mich aus der Kirche, in der übrigens auch während des Gottesdienstes fleißig Kerzen verkauft werden. Das Kloster liegt auf dem Hügel, scheinbar mitten im See, wenn man von der Straße absieht. Plötzlich läuft eine ganze Herde Priester oder Mönche an mir vorbei. Ich dachte, hier gäbe es kein aktives Klosterleben mehr. Zumindest können die nicht hier wohnen, denn das was von den Schlafsälen und Arbeitsräumen erhalten ist, sind im großen und ganzen die Grundmauern. Nein, die wohnen nicht direkt hier, sondern in der Priesterschule im Ort. 
Beim Spaziergang durch das Gelände, sehe ich das Sommerhaus des Vereins sowjetischer Schriftsteller, oder so ähnlich. Und dann einen Zaun. Dahinter liegt das Sommerhaus des Präsidenten. 
Dann ziehen wir weiter, zu einem kleinen Berg. Nach einer guten Stunde querfeldein durch Disteln und Gestrüpp sind wir oben. Es ist windig und diesig. Mmmh. Picknick und wieder runter. Naja, ist ja erst der erste Wandertag, das wird noch besser. Wir fahren nach Dilijan, plötzlich ist es bewaldet und die Atmosphäre im Ort eine ganz andere. Hier soll man im Winter sogar Skifahren können. Na dann...