22.10.2015

Nordpol oder Armenien, Nansen war da

Eher zufällig bin ich bei einer Googelei auf das Nansenmuseum in Yerevan gestoßen. Klar, dass ich da ein bisschen neugierig geworden bin. Ein Norweger in Armenien? Warum denn das?
Ein bisschen mehr gegoogelt, Wikipedia gefragt und schon wusste ich mehr. Fridtjof Nansen war nicht nur Polarforscher, hat also nicht nur den Nordpol auf Ski überquert und mit seinem Fram-Schiff neue Fahrwasser entdeckt. Er war ganz nebenbei auch Menschenrechtsaktivist und hat sich für die vielen Flüchtlinge dieser Welt eingesetzt. Nach eben diesen Nansen ist auch der Nansen-Pass benannt. Ein (damals) international anerkanntes Reisedokument, das staatenlose Flüchtlinge bekommen konnte, um zumindest die Möglichkeit zu haben, in irgendeinem Land Asyl zu beantragen. Heute hat die UN ein ähnliches System. Heißt nur nicht mehr Nansen-Pass.

Soviel also zum Hintergrund. Ich habe mich auf den Weg gemacht. Das Nansenmuseum, die Nansenkirche und der Nansenpark sind am anderen Ende der Stadt. Ich habe eine Straßenkarte von der innersten Innenstadt Yerevans. Nicht von den Hochhaussiedlungen drumherum. So in etwa weiß ich, wo ich hin will. Und mein Handy hat GPS. Was ich nicht bedacht hatte, dass Open Street Maps ja nicht immer auf dem allerneuesten Stand ist und Yerevan sich sehr, sehr, sehr schnell verändert. Die erste Stunde habe ich das Gefühl, den Weg zu finden, den ich mir ergoogelt hatte. Dann laufe ich durch eine Baustelle, die Google nicht kannte und dann? Ja, dann bin ich wohl in Yerevan angekommen. Scheinbar eine gutbürgerliche Wohngegend. Es ist so unendlich schön, einfach durch die Straßen zu schlendern und den Frauen beim Plausch am Gartentor zuzusehen, den Kindern beim Fußballspielen und den Männern beim Schachspielen im Schatten. Der Weg führt mich weiter und ganz plötzlich bin ich wirklich, wirklich in einer dieser Hochhaussiedlungen gelandet. Das, was ich bisher nur aus dem Fernsehen und aus Geschichten über Russland kannte, ist jetzt Wirklichkeit und ich stehe mittendrin. Hohe, graue Plattenbauten, Frauen in Kittelkleidern und sonst nichts. Ich weiß nicht, was ich fühlen und denken soll. Nehme es aber als Erfahrung mit nach Hause. Surrealistisch!

In einem kleinen Laden kaufe ich mir ein UDSSR-Eis, laufe weiter und gucke hier und da mal aufs Handy. So grob laufe ich in die richtige Richtung. In einem Supermarkt mache ich Pause, kaufe mir was zu trinken und überlege, warum ich eigentlich keine Flusskrebse gegessen habe, während ich hier war. Die scheinen Frisch zu sein. Auf jeden Fall krabbeln und krebsen sie in ihren Becken rum. Diese armenischen "Yerevan City" Märkte sind beeindruckend. Die Auswahl deutlich größer als in Norwegen. Eine riesige Süßigkeiten und Keks-Abteilung, ein kilometerlanges Milchprodukteregal und eine Obst- und Gemüseauswahl, die ihresgleichen sucht. Sogar das 2. Wahl Obst und Gemüse kann man hier kaufen.

Als die Sonne am stärksten scheint und ich das Gefühl habe, gleich zu schmelzen, bin ich schon dabei zu beschließen umzudrehen. Det er ingen skam å snu, es ist keine Schande umzudrehen. Da ich aber nicht genau weiß, wohin ich gehen soll, frage ich mal wieder mein GPS. Open Street Maps meint, ich wäre gleich da. Auf dem Weg liegt eine Kirche. Und da Sonntag ist, ist da voller Betrieb. Ein Weile stelle ich mich dazu und genieße den Gottesdienst. Auch wenn ich kein Wort verstehe, gefallen mir die Gesänge. In der Kirche herrscht stetes Kommen und Gehen. Kerzen werden verkauft und mir fällt es schwer dem Ablauf zu folgen. Irgendwann gehe auch ich. Nach einer weiteren Viertelstunde, sehe ich plötzlich auf einem blinkenden Straßenschild den Namen "Nansen". Dann wird das hier wohl ganz in der Nähe sein. Erst durch den Park, der zugegeben etwas kümmerlich scheint, dann irgendwie durch den Hinterhof eines Restaurant und schwupps schon bin ich an der Kirche und dem Museum. Das Museum hat natürlich zu... Scheint aber auch nicht soooo groß zu sein. Es ist ein kleiner runder Bau, vielleicht 3m im Durchmesser. Eine Infotafel erzählt, wer Nansen war weist auf die überlebensgroß Statur. Diese Ecke der Stadt ist wirklich nett. Es ist immer noch warm, aber nicht mehr brütend heiß. Ich setze mich auf eine Bank und gucke dem Treiben um mich herum zu. Die Kinder, die offenbar Teil einer Hochzeitsgesellschaft sind, spielen und Tanzen im Hof. Kurze Zeit später kommt der Priester (ich tippe mal, dass er Priester war, er trug auf jeden Fall einen Talar) und tanzt mit.


16.10.2015

Yerevan - neureich oder was?

Yerevan, Jerewan oder auch Eriwan, lauter Namen für die gleiche Stadt. Die quirlige Innenstadt brummt von früh bis spät und über allem wacht die Kaskade. Eigentlich nichts weiter als eine Treppe, aber nachts angestrahlt und mit deutlich südländischem Flair.

Entstanden ist die Stadt an den Ufern des Hrazdan Flusses. Heute ist der Fluss zumindest im Sommer eher ein klägliches Rinnsal. Yerevan gilt als eine der ältesten kontinuierlich besiedelten Städte der Welt. Gar nicht weit von der Stadt erhebt sich der große Ararat Berg, dort wo Noah mit seiner Arche gelandet sein soll. Der Berg ist eines der nationalen Symbole Armenien, obwohl er gar nicht in Armenien ist. Wo genau Armenien anfängt und aufhört, ist Ansichtssache. Ich habe mich entschlossen, die derzeit geltenden international anerkannten Grenzen als meine Anhaltspunkt zu nehmen. Und demnach steht der Ararat in der Türkei.

Also Yerevan. Schon bei meiner Ankunft war es warm. Und dabei war es doch mitten in der Nacht. Das Hostel, völlig in Ordnung, aber eben warm. Ein erster Spaziergang durch die Stadt und ich bin total überwältigt. In der großen Flaniermeile reihen sich die Designergeschäfte aneinander und neureiche Armenier und Russen geben sich bei Armani, Porsche und Dior die Klinke in die Hand. Diese eine Hauptstraße könnte in jedem x-beliebigen reichen Land sein und ist gar nicht typisch für irgendwas, außer für Menschen, die zeigen wollen, dass sie Geld haben. 

Vor allen großen und wichtigen Gebäuden sind große Plätze, die zu jeder Tages- und Nachtzeit von vielen Menschen als Treffpunkt und soziales Zentrum genutzt werden. Herrlich! Kinder laufen herum, Erwachsene trinken Kaffee oder Bier/Wein/Kognak und klönen. Das ist Urlaub, weil es einfach so anders ist, als das schlichte Nordeuropa.

Am Republickplatz, direkt vor dem Nationalmuseum ist eine Sprinbrunnenanlage, die nachts zu einem Medley der bekanntesten Musikstücke eine Wasser-Licht-Show zeigt. Wie schon in Doha, bin ich ein bisschen verzaubert und gucke immer und immer wieder hin. Auch hier wimmelt es von Menschen. Urlaubende Iraner und Russen, Touristenguides, die die erstgenannten mit günstigen Angeboten locken wollen und natürlich der eine oder andere Süßigkeiten- und Blumenverkäufer.

Da Yerevan ja eine alte Stadt ist und viel Geschichte zu erzählen hat, habe ich mir das eine oder anderen Museum angeguckt. Nationalmuseum gehört für mich einfach zu einem guten Urlaub dazu. Nirgendwo sonst bekomme ich so schnell und übersichtlich einen Überblick über die gesamte Geschichte, Kunst und Kultur, sowie die Sitten und Bräuche eines Landes. Auch das armenische Nationalmuseum hat einiges zu zeigen gehabt. Schön wäre nur die Beschreibung auf englisch zu -allen- Exponaten. Meine Russisch- und Armenischkenntnisse haben da nämlich nicht weitergeholfen. Yerevan ist von der UNESCO zur Weltbuchstadt ernannt worden. Um das besser zu verstehen bin ich in das Martenadaran Museum gegangen. Dort sind viele wichtige Literaturreliquien ausgestellt, die das Leben und die Kultur der alten Armenier zeigen. Mir persönlich haben die Schätze wenig gesagt, aber toll ist es schon, ein ganzes Museum für Bücher zu haben.

Beeindrucken war der Besuch im Naturmuseum. Das gehört zur Universität und ist nicht besonders frequentiert. Leider, wie ich finde. Denn die Ausstellungen haben ganz klar ihren Charme und zeigen viel von der Flora und Fauna des Landes. Insgesamt liebevoll gepflegt und ganz sicher nicht überladen. Ich wurde bei meinem Besuch persönlich begrüßt und mir wurden alle Exponate einzeln erklärt und gezeigt. Ich war halt der einzige Besucher des Tages...

Deutlich bekannter ist das Genozid-Museum. Hier hat der alte Hitler einen großen Teil seiner Ideen her. In "Mein Kampf" soll er sogar den Genozid an den Armeniern erwähnt haben. Frei nach dem Motto: Wenn die Welt hier nicht Stopp geschrien hat, kann ich es auch machen, ohne Konsequenzen zu befürchten. Schon von weitem sieht man das Mahnmal. Wie eine Spitze Nadel sticht es in den Himmel und will allen Menschen sagen: Nie wieder! Oder wie die Armenier es Ausdrücken: Ich erinnere und frage nach. I remember and demand. Bei der Planung des Infozentrums war sicher ein Skandinavier beteiligt. Klare Linien, nichts zu viel und sehr tiefgründig wird die Geschichte des Völkermordes an den Armeniern dargestellt. Alle Fakten mit genau soviel Emotionen, dass es nicht steril und entkoppelt wirkt, aber eben kein Anklagen, kein Verdammen und Jammern. Wenn das mal so in den Herzen und Köpfen der Durchschnittsbevölkerung ankommen würde, wäre schon viel getan. Ich gehe mit gesenktem Kopf aus der Ausstellung. Hätte, hätte, hätte. Die Geschichte des Völkermordes ist brutal. Was mir gar nicht klar war, das Wort Genozid ist zum ersten mal eingesetzt worden, als es darum ging, den Mord an den Armeniern zu beschreiben. Auch hier hoffe und bete ich wieder, dass ich so eine Grausamkeit nie im leben erfahren muss. Und dass die Welt nicht wieder die Augen zu macht. Ich will so gerne versuchen, meine Augen nicht zu schließen. Ich will so gerne den Mut haben, aufrecht zu stehen und laut zu sagen, was Unrecht ist, mich dazwischen stellen und ein kleines bisschen Frieden bringen. Ich wünsche so sehr, dass ich mutig genug bin, meinen Traum so zu verwirklichen.

01.10.2015

Kloster, Kirchen und Kapellen

Als ich frisch aus Nepal zurück war, hatte ich nur ein Ziel. Möglichst schnell wieder auf einen, am besten hohen, Berg zu kommen und tagelang zu wandern, ohne dabei ein Auto zu sehen. Armenien schien sich anzubieten. Nicht immer ist alles so, wie es auf den ersten Blick aussieht. Die Wanderwege in Armenien sind ja nicht unbedingt Wanderwege. Einige gibt es eigentlich gar nicht und andere sind eher Landstraßen. Dazwischen sind aber auch wundervolle Hirtenpfade, die fernab von Autos und Internet auf die Berge führen. 

Und neben den Bergen, die mal hoch und steil, mal grün und hügelig sind, stehen immer wieder Kirchen und Kapellen, die zu den vielen (inzwischen verlassenen) Klöstern des Landes gehören. Armenien ist als erstes Land der Welt christlich geworden. Damals im Jahr 301 hat der armenische König kurzerhand bestimmt, dass sein Land von nun an christlich sein soll. Hat gut geklappt, denn heute, knapp 1700 Jahre später, wimmelt es im Land von christlichen Kirchen, Klöstern und Kapellen. Die meisten sind wohl schon etwas älter und werden zum Teil anderweitig genutzt, aber insgesamt prägt ein sehr christliches Bild das Land.

Eines der bekanntesten Kloster liegt in Geghard, gar nicht weit von Yerevan entfernt. Heute wird die Kirche von Unmengen Touristen besucht - klar, so dicht an der Stadt und ab und zu darf wohl auch mal jemand hier heiraten oder sein Kind taufen lassen. So richtig habe ich das Prinzip aber nicht verstanden. Als ich die Klosteranlage in Noravank besucht habe, kam da gerade so eine Taufgesellschaft, um ihr Baby taufen zu lassen. Völlig unbeeindruckt haben andere Touristen und Besucher sich weiter die Kirche angeguckt. Einfach anders, als ich es gewohnt bin.

Die Klöster von Haghpat und Sanahin sind weniger bereist. Sie liegen etwas dezentralisiert, fernab von der großen, quirligen Hauptstadt. Ich bin mit einer Reisegruppe dorthin gefahren. Auch mal eine Erfahrung. Morgens in einem kleinen Bus los, durch das halbe Land. Immer wieder wird der Unterschied zwischen den reichen Städtern und der eher armen Landbevölkerung deutlich. Ja ok, die Menschen leben schon in Häusern. Aber viele Autos habe ich nicht vor den einfachen Häusern parken sehen, dafür Eselkarren und getrockneten Mist, der als Brennstoff dient. Die Umgebung wird auf dem Weg nach Haghpat immer "sowjetischer". Es ist wie schon vorher häufiger. Irgendetwas löst in mir das Gefühl von Sowjetzeit/DDR aus. Merkwürdig... Dazu kommt eine trollske Stimmung mit Nebel und Nieselregen. Es passt gut zusammen. Das Kloster von Haghpat steht auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO. Es ist schon lange nicht mehr als Kloster in Betrieb, aber ab und an verirrt sich doch ein Tourist hierher. Der Ort an sich ist auch sehr speziell. Vielleicht hätte ich den eher auf die Welterbeliste gesetzt? Es gibt ein Oberdorf und ein Unterdorf. Eigentlich genau wie in Helgoland mit dem Oberland und dem Unterland. Nur hier gibt es keinen Fahrstuhl, der die beiden Ortsteile verbindet, sondern eine Seilbahn. Ursprünglich wurde die gebaut, um die arbeitenden Männer aus dem oberen - dem Wohnstadtteil - in den unteren - den Arbeitsstadtteil - zu befördern. Heute leben auch "unten" Menschen. Unten ist tief in einer Schlucht. Ob die Menschen hier jemals den Himmel sehen weiß ich nicht. Dichter Dunst, vermutlich nicht nur Nebel, sondern auch andere Schwebstoffe, verschleiern die Luft. So für einen halben Tag faszinierend, aber für länger?

Aber das Kloster, ja. Also nicht mehr als Kloster in Gebrauch. Mäßig gut erhalten.Hier und da hat sich die Natur zurückgeholt, was ihr vor vielen hundert Jahren mal genommen wurde. Es wachsen also Kletterpflanzen durch das Dach. Ich mag das ja leiden, auch wenn es nicht so gut für die Bausubstanz ist. Insgesamt ein recht großer und gepflegter Komplex, der in einen ganz normalen armenischen Friedhof übergeht. Auch wenn das Kloster nicht mehr als Kloster genutzt wird, wird die Kirche doch von der heimischen Bevölkerung genutzt. Gottesdienste sind hier ganz anders, man scheint kommen und gehen zu können, wie es einem passt und Interaktion zwischen Pastor und Gemeinde gibt es nicht. Aber Kinder werden in der Kirche getauft, Paare werden getraut und Tote beerdigt. Ich schlendere über den Friedhof und genieße, dass es anders ist, als die nordeuropäischen Friedhöfe. Die Grabsteine zeigen in der Regel das Bild des Verstorbenen. Gerne in einer Alltagssituation. Nicht immer steht Geburts- und Sterbedatum dabei. Und damit die Toten nicht weglaufen oder die bösen Geister auf dem Friedhof bleiben und nicht ins Dorf können (oder ganz simpel, damit die Schafe und Ziegen nicht auf dem Friedhof herumtrampeln) sind um viele der Gräber Zäune. Einige Familien konnten sich keinen adäquaten Zaun leisten und haben deswegen die Bettpfosten der Oma um ihr Grab gestellt. Ein bizarrer Anblick...


Auch das Kloster in Sanahin liegt auf einem Berg und wird nun mehr als Gemeindekirche benutzt. Besonders fasziniert hat mich der ehemalige Vorratsraum. Dort sind eine Art alte Kühlschränke eingebaut. Also Löcher im Boden, wo die Mönche ihr Essen aufbewahren konnten. Dort zu stehen ist so unwirklich. Im Nebenraum sind Priester und Mönche beerdigt. In früheren Zeiten wurden die Klosterangehörigen in der Kirche beerdigt. Da es damals üblich war, sich die Schuhe vor dem Betreten des Klosters auszuziehen, konnten sich die Mönche und Priester sicher sein, dass damals niemand mit Schuhen auf ihren Gräbern herumläuft. 

Jedes armenische Kloster hat seine großartigen Besonderheiten und alle haben etwas ähnliches. In allen stehen Kreuzsteine, die an große heilige Menschen, Taten und Orte erinnern. Und in allen Klöstern und Kirchen ist der Altarraum erhalten und weiterhin als solcher zu erkennen. Fast überall lag ein Altartuch auf dem Altar. Und das nicht schon seit 1700 Jahren, sondern aller höchstens seit ein paar Tagen. 
In einer Kirche habe ich mit einer Mischung aus Neugier und Erschrecken beobachten dürfen, wie eine Frau dem Priester ein Huhn gab, das er bitte opfern sollte. Eine andere Welt hier.