16.10.2015

Yerevan - neureich oder was?

Yerevan, Jerewan oder auch Eriwan, lauter Namen für die gleiche Stadt. Die quirlige Innenstadt brummt von früh bis spät und über allem wacht die Kaskade. Eigentlich nichts weiter als eine Treppe, aber nachts angestrahlt und mit deutlich südländischem Flair.

Entstanden ist die Stadt an den Ufern des Hrazdan Flusses. Heute ist der Fluss zumindest im Sommer eher ein klägliches Rinnsal. Yerevan gilt als eine der ältesten kontinuierlich besiedelten Städte der Welt. Gar nicht weit von der Stadt erhebt sich der große Ararat Berg, dort wo Noah mit seiner Arche gelandet sein soll. Der Berg ist eines der nationalen Symbole Armenien, obwohl er gar nicht in Armenien ist. Wo genau Armenien anfängt und aufhört, ist Ansichtssache. Ich habe mich entschlossen, die derzeit geltenden international anerkannten Grenzen als meine Anhaltspunkt zu nehmen. Und demnach steht der Ararat in der Türkei.

Also Yerevan. Schon bei meiner Ankunft war es warm. Und dabei war es doch mitten in der Nacht. Das Hostel, völlig in Ordnung, aber eben warm. Ein erster Spaziergang durch die Stadt und ich bin total überwältigt. In der großen Flaniermeile reihen sich die Designergeschäfte aneinander und neureiche Armenier und Russen geben sich bei Armani, Porsche und Dior die Klinke in die Hand. Diese eine Hauptstraße könnte in jedem x-beliebigen reichen Land sein und ist gar nicht typisch für irgendwas, außer für Menschen, die zeigen wollen, dass sie Geld haben. 

Vor allen großen und wichtigen Gebäuden sind große Plätze, die zu jeder Tages- und Nachtzeit von vielen Menschen als Treffpunkt und soziales Zentrum genutzt werden. Herrlich! Kinder laufen herum, Erwachsene trinken Kaffee oder Bier/Wein/Kognak und klönen. Das ist Urlaub, weil es einfach so anders ist, als das schlichte Nordeuropa.

Am Republickplatz, direkt vor dem Nationalmuseum ist eine Sprinbrunnenanlage, die nachts zu einem Medley der bekanntesten Musikstücke eine Wasser-Licht-Show zeigt. Wie schon in Doha, bin ich ein bisschen verzaubert und gucke immer und immer wieder hin. Auch hier wimmelt es von Menschen. Urlaubende Iraner und Russen, Touristenguides, die die erstgenannten mit günstigen Angeboten locken wollen und natürlich der eine oder andere Süßigkeiten- und Blumenverkäufer.

Da Yerevan ja eine alte Stadt ist und viel Geschichte zu erzählen hat, habe ich mir das eine oder anderen Museum angeguckt. Nationalmuseum gehört für mich einfach zu einem guten Urlaub dazu. Nirgendwo sonst bekomme ich so schnell und übersichtlich einen Überblick über die gesamte Geschichte, Kunst und Kultur, sowie die Sitten und Bräuche eines Landes. Auch das armenische Nationalmuseum hat einiges zu zeigen gehabt. Schön wäre nur die Beschreibung auf englisch zu -allen- Exponaten. Meine Russisch- und Armenischkenntnisse haben da nämlich nicht weitergeholfen. Yerevan ist von der UNESCO zur Weltbuchstadt ernannt worden. Um das besser zu verstehen bin ich in das Martenadaran Museum gegangen. Dort sind viele wichtige Literaturreliquien ausgestellt, die das Leben und die Kultur der alten Armenier zeigen. Mir persönlich haben die Schätze wenig gesagt, aber toll ist es schon, ein ganzes Museum für Bücher zu haben.

Beeindrucken war der Besuch im Naturmuseum. Das gehört zur Universität und ist nicht besonders frequentiert. Leider, wie ich finde. Denn die Ausstellungen haben ganz klar ihren Charme und zeigen viel von der Flora und Fauna des Landes. Insgesamt liebevoll gepflegt und ganz sicher nicht überladen. Ich wurde bei meinem Besuch persönlich begrüßt und mir wurden alle Exponate einzeln erklärt und gezeigt. Ich war halt der einzige Besucher des Tages...

Deutlich bekannter ist das Genozid-Museum. Hier hat der alte Hitler einen großen Teil seiner Ideen her. In "Mein Kampf" soll er sogar den Genozid an den Armeniern erwähnt haben. Frei nach dem Motto: Wenn die Welt hier nicht Stopp geschrien hat, kann ich es auch machen, ohne Konsequenzen zu befürchten. Schon von weitem sieht man das Mahnmal. Wie eine Spitze Nadel sticht es in den Himmel und will allen Menschen sagen: Nie wieder! Oder wie die Armenier es Ausdrücken: Ich erinnere und frage nach. I remember and demand. Bei der Planung des Infozentrums war sicher ein Skandinavier beteiligt. Klare Linien, nichts zu viel und sehr tiefgründig wird die Geschichte des Völkermordes an den Armeniern dargestellt. Alle Fakten mit genau soviel Emotionen, dass es nicht steril und entkoppelt wirkt, aber eben kein Anklagen, kein Verdammen und Jammern. Wenn das mal so in den Herzen und Köpfen der Durchschnittsbevölkerung ankommen würde, wäre schon viel getan. Ich gehe mit gesenktem Kopf aus der Ausstellung. Hätte, hätte, hätte. Die Geschichte des Völkermordes ist brutal. Was mir gar nicht klar war, das Wort Genozid ist zum ersten mal eingesetzt worden, als es darum ging, den Mord an den Armeniern zu beschreiben. Auch hier hoffe und bete ich wieder, dass ich so eine Grausamkeit nie im leben erfahren muss. Und dass die Welt nicht wieder die Augen zu macht. Ich will so gerne versuchen, meine Augen nicht zu schließen. Ich will so gerne den Mut haben, aufrecht zu stehen und laut zu sagen, was Unrecht ist, mich dazwischen stellen und ein kleines bisschen Frieden bringen. Ich wünsche so sehr, dass ich mutig genug bin, meinen Traum so zu verwirklichen.