09.06.2009

Zugfahren in Vietnam

Nach einem Bericht über Zugfahren in Indien, muss es auch einen Bericht über Zugfahren in Vietnam geben. Das Buchen ist nicht weniger umständlich. Zwar sind die Züge (es gibt deutlich weniger Verbindungen, eigentlich nur eine - den Wiedervereinigungsexpress) nicht nach wahllosen Nummern sortiert, sondern nach Bestimmungsort und Abfahrtszeit. Auch gibt es weniger Klassen, aber die unglaubliche Schnelligkeit der Reisebüro- und Bahnmitarbeiter ist schon als umständlich zu bezeichnen. Ich hatte mir von einem Reisebüro die Zeiten geben lassen und meine Favoriten rausgesucht. Zusammen mit dem Datum, an dem ich fahren wollte aufgeschrieben und den Mann vom Reisebüro gebeten, bei der Bahn zu fragen, ob noch ein Plätzchen für mich in der ersten oder zweiten Klasse frei wäre. Der Mann nimmt den Zettel, liest alles vor, ich bestätige ihm die Richtigkeit der Daten. Er geht zum Telefon, nimmt den Hörer in die Hand, atmet tief ein und aus, ein und aus, ein und aus. Wählt die erste Ziffer der Nummer, atmet ein und aus, 2. Ziffer, atmet ein und aus, 3. Ziffer, atmet ein und aus (den Rest spare ich mir). Er redet eine Weile, legt auf. Teilt mir mit, dass der erste Termin auf meinem Zettel leider nicht mehr in der ersten Klasse möglich ist. Er ruft ein 2. mal bei der Bahn an, um zu fragen, ob in der 2. Klasse noch etwas frei ist. Dieses Spiel haben wir gespielt, bis alle erdenklichen Kombinationen ausprobiert waren und er endlich einen freien Platz von Saigon nach Danang und von Danang nach Hanoi gefunden hat. Dass er diese Plätze nicht gleich reserviert hat, erwähne ich mal nur am Rande. Es folgte wieder das Hörer in die Hand nehmen, einatmen, ausatmen, erste Ziffer und so weiter. Meine Zugfahrt ist endlich reserviert. Hat nur knappe 2 Stunden gedauert. Hätte ich das gewusst, hätte ich auch zum Bahnhof laufen können, das hätte nicht länger gedauert.
Ich habe mich dann spontan gegen Laufen im strömenden Regen entschieden und bin mit dem Taxi zum Bahnhof gefahren. Vielleicht wäre Laufen auch eine Spur weit gewesen. Das Taxi braucht bei mäßigem Verkehr gute 40 Minuten. Meine Erwartungen an den Bahnhof sind gering. Ich erwarte eine Horde von Menschen, die in allen Ecken sitzen, stehen und liegen. Dazwischen ein paar Bettler und Teeverkäufer, müde Ventilatoren und schnarrende Durchsagen, die keiner versteht. Als ich das Bahnhofsgebäude betrete muss ich mich kneifen, um sicher zu sein, dass ich wach bin. Klimaanlage! Internetterminals, Lotteria (der vietnamesische McDonald-Verschnitt), ein Café und Menschen, die leise miteinander redend in den Stuhlreihen der Bahnhofshalle sitzt. Mit dem Berliner Hauptbahnhof ist dieser Bahnhof nun nicht zu vergleichen. Aber mit dem Neu Delhi auch nicht. Der Zug ist schon da. Mein Abteil und mein Bett habe ich auch schnell gefunden. Hard sleeper ist wirklich eins: hart! Ein Holzbrett mit einem Laken. Na dann, gute Reise! Zugfahren in Indien war billig und bequem. Zugfahren in Vietnam ist teuer und unbequem. Zumindest im Hard sleeper ganz oben. Meine Länge macht mich ja nicht gerade zum Riesen, aber an Sitzen ist in diesem Bett nicht zu denken. Ich liege also die nächsten 16 Stunden, begleitet von Kindergeschrei und vietnamesischer Musik in meiner Koje und genieße zumindest ein bisschen die Aussicht. Die Frau im Bett unter mir versucht ein Gesrpäch zu beginnen. Meine Vietnenglisch-Kenntnisse sind allerdings beschränkt. Trotzdem haben wir eine Menge Spaß und ich werde zum Essen eingeladen. Kein Railway Catering, das regelmäßig auch durch die billigen Klassen läuft. Keine Teeverkäufer, keine Suppenmänner und Kaffeeausschenker. Schade!
In der ersten Klasse, im Soft Sleeper war es dagegen deutlich bequemer, nur 4 Betten im Abteil (im Gegensatz zu 6 im Hard Sleeper). Die Anzahl der Betten sagt nichts über die Anzahl der Passagiere aus. Ich reise mit 8 weiteren Menschen im 4-Bett-Abteil... Das Railway Catering hier funktioniert auf eine ganz eigene Art und Weise. Man bestellt sein Essen (und das bei meinen Vietnamesischkenntnissen), bezahlt und bekommt eine Quittung. Dann darf man den Moment nicht verpassen, in dem der Mensch mit dem Essen vorbei kommt und es verteilt. Ich habe schon deutlich besser und billiger im Zug gegessen. Wieder eine Erfahrung mehr.
Ich habe während der Fahrt von Danang nach Hanoi (die unendlich schöne Ausblicke auf die Küste geboten hat und sicherlich eine Reise an sich Wert ist) eine kleine Sozialstudie gemacht. Kinder reicher Vietnamesen sind verzogen. So haben drei der fünf in meinem Abteil mitreisenden Kinder konstant geschrien, Fußball (ich habe zwischendurch meine Brille abgenommen, weil ich Angst hatte, der nächste Ball könnte nicht nur mein Kinn oder meine Wange treffen) oder zwischen den Betten hin und her hüpfen gespielt. Auf dem Gang war es kaum besser. Ein Hackisack ähnliches Geschoss flog die ganze Zeit unter wildem Gekreische umher. Die Mittagsstunde hatten sich alle mehr als redlich verdient, bevor der Zirkus am Nachmittag in eine 2. Runde ging. Ich mag fast behaupten, dass ich nach den 16 Stunden auf dem Holzbrett erholter war, als nach den 16 Stunden im zwar bequemen, aber unendlich lauten und gefährlichen Soft Sleeper...