26.09.2015

3 Gipfel in 2 Tagen

Als ich im letzten Jahr nach Urlaubsalternativen gesucht hatte, bin ich ja über den Ararat auf Armenien gekommen. Ein bisschen hat es gedauert, bis ich raus gefunden hatte, dass der Ararat in der Türkei liegt, der Aragat aber in Armenien. Würde man einen national-konservativen Armenier fragen, würde er die Frage wohl etwas anders beantworten, aber geopolitisch liegt der Ararat derzeit im Gebiet der Türkei.
Wie dem auch sei, ich wollte auf jeden Fall die 4000m auf einen der Aragat-Gipfel laufen. Das Berglein im Westen Armeniens ist ein alter Vulkan und hat sich bei einem früheren Ausbruch mal selbst in die Luft gejagt. Jetzt steht noch eine Art Krater mit 4 Gipfeln. Der niedrigste, der Südgipfel, ist leicht zu erreichen. Bis kurz davor geht eine mehr oder weniger gute Autostraße an deren Ende ein Hotel, ein astrophysisches Institut und eine meteorologische Station sind. Da das Wetter hier in der Gegend nicht immer stabil ist, werde ich die Nacht in der Wetterstation verbringen. Das ist nur so halb legal. Die Meteorologen, die hier arbeiten, vermieten 2 ihrer Räume. Schwarz versteht sich. Das finden die Hotelbesitzer nur so mäßig gut. Auch irgendwie verständlich. Allerdings ist der Preisunterschied so beeindruckend, dass ich nicht lange überlegen musste, wo ich lieber übernachten will.
Kurz das Bett gecheckt - hier werde ich nicht rausfallen... Und dann los auf die ersten zwei Gipfel. Ein entspannter Spaziergang auf den 3879m hohen Südgipfel. Der Weg ist gut, es ist nicht so steil und es laufen mehr oder weniger Menschenmaßen auf diesen Gipfel. Weiter geht es auf den Westgipfel. Ein schmaler Pfad führt mehr oder weniger senkrecht die Kraterwand hinunter. Anfangs versuche ich mich Schritt für Schritt den Weg runter zu arbeiten. Mit der Zeit geht es besser und ich laufe astronautenmäßig gleitend den weichen Sand runter. Nach 300 Höhenmetern stehe ich am Kraterrand und gucke in eine Mondlandschaft. Total faszinierend. Und dann heißt es, bergauf klettern. Während der Weg zum Südgipfel ein entspannter Spaziergang war, ist dieser Aufstieg ein Vorgeschmack auf morgen - wenn ich auf den Nordgipfel, den höchsten, den Hauptgipfel will. Es geht steil bergauf und ich muss mich oft mit beiden Händen festhalten, damit ich weiterkomme. Ich bin sehr zufrieden mit mir und der Welt, als ich nach knappen 1,5 Stunden auf 4001m Höhe stehe. Die kleine grau-schwarze Wand am Himmel lässt sich nicht ignorieren und ich beeile mich wieder in die Wetterstation zu kommen. Die ersten Tropfen erwischen mich doch. Begeistert bin ich nicht, aber unendlich erleichtert, als der Wolkenbruch wirklich losgeht. Die halbe Nacht schüttet der Himmel sich aus, Blitze zucken, es donnert. Und ich sitze im Warmen, trinke Tee und lasse es mir gut gehen.
 

Am nächsten Morgen hat es aufgehört zu regnen, als wir losgehen ist es kühl und beginnt gerade zu dämmern. Den ersten Teil des Weges kenne ich schon von gestern. Nach 2 Stunden sind wir am Südgipfel vorbei und auf dem Weg in den Krater. Nach dem ersten Schneefeld kommen wir zu einigen großen, flachen Steinen, die von der Sonne schon ein bisschen angewärmt sind. Hier ist es Zeit, eine Pause zu machen und zu frühstücken. Lavash, Käse, Paprika und Schinken, dazu die Musik der Stille. Hier ist nichts weiter zu hören als der Wind und hin und wieder ein paar Steine, die die Kraterwand runterrollen. Der Krater ist größer als, es von oben aussieht. Der Weg ist zeitweise ein wenig lang, aber was solls. Ich habe Urlaub und vor allem habe ich Zeit. Mitten im Krater blubbert eine kleine Quelle aus dem Boden. Hovik, der Bergführer versichert mir, dass man das Wasser ohne Bedenken trinken könne. Erst bin ich etwas skeptisch. Aber Horvik schwärmt so von dem Wasser. Mmmh, dann probiere ich es doch. Zum Glück war ich vorbereitet auf das, was mich da überrascht hat. Das Wasser schmeckt ganz deutlich nach Zitrone, naja und dann kommt ein etwas metallischer Nachgeschmack. Der ist nicht so lecker, aber dieses zitronige ist faszinierend.
Auf dem Weg die Kraterwand auf der anderen Seite hoch, höre ich das reichlich schäppernde geräuschartige Musik. Ich bin, milde gesagt, nicht sehr begeistert und will schon anfangen diese Alt-Männer-Gruppe aufs wildeste zu beschimpfen, als Horvik mit großen Augen stehen bleibt und lauscht. Bevor ich den Mund aufmachen kann, übersetzt er mir den Text des Schepperns - es geht um Freiheit, um die Möglichkeit ohne Angst seine Meinung sagen zu können. Im gleichen Atemzug fügt er hinzu, dass er diese Musik nur mit Kopfhörern in einem schallisolierten Raum hören würde. Alles andere fände er zu riskant. Schließlich wüsste man ja nie, wer mithört. Ui... Da habe ich ein bisschen was zum Nachdenken. Irgendwann werden meine Gedanken aber durch das Bergaufgehen in den Hintergrund gedrängt. Ich habe das Gefühl, mich aufwärts zu kämpfen und kein Stück voran zu kommen. Nach einer Weile gucke ich hoch und traue meinen Augen kaum. Da ist der Gipfel nur noch ein paar Schritte entfernt. Eine ganze Energiewelle erreicht mich und wutsch, bin ich oben. Erschöpft von den 5 Stunden, die es gedauert hat durch den Krater zu laufen und dankbar den undenkbar blauen Himmel sehen mit der strahlenden Sonne zum Greifen nah zu haben.
Klar, dass ich auch hier ein paar Erinnerungsbilder machen möchte. Während ich mich gut gelaunt mit der Kamera in der Hand hierhin und dahin drehe, packt Horvik Kekse, getrocknete Früchte und Schokolade aus. Kaum habe ich mich hingesetzt, kommen auch die 4 Herren. Beim genauen Hinsehen sind sie viel älter, als ich vermutet hatte, eher so Mitte/Ende 60. Einer von ihnen spricht mich auf armenisch/russisch an - er hat beides versucht, ich beides nicht verstanden. Genauso fließend wechselt er ins englische. Ich traue meinen Ohren kaum. Er stellt sich und seine Kameraden vor und fragt, wo ich herkomme und wie ich auf die Idee gekommen bin, in Armenien wandern zu gehen. Eine nette Unterhaltung bei Wasser, Keksen und Konfekt - logisch in den Bergen teilt man.
Nach einer Weile erzählt der älteste der Gruppe, dass diese 4 sich jedes Jahr 1-2 mal treffen. Ab und zu gehen sie wandern, mal verbringen sie nur einen Abend zusammen. Seit vielen, vielen Jahren machten sie das schon, seit sie sich in Sibirien kennengelernt hätten. Kumpelhaft klopft er seinem Nachbarn auf die Schulter und lächelt. Ich fühle mich plötzlich noch kleiner in dieser Welt. Weiter gefragt habe ich nicht, wie und unter welchen Umständen dieses Kennenlernen stattgefunden hat. Alle 4 Männer erzählen mit einer ungebrochenen Lebensfreude von Bergtouren bei Sonne und Regen von ihren Familien und Zelttouren am Sevan-See.
Nach einer Weile brechen wir auf. Wir wollen wieder in die Wetterstation, die 4 zu ihrem Zelt zurück. So trennen sich unsere Wege. Wenn ich jetzt ganz spontan einen oder mehrere Helden benennen sollte, dann diese 4 Freunde. Die werden ja keine Ferien in Sibirien gemacht haben... Bewegt von den Erlebnissen des Tages ist der Rückweg leider nicht kürzer als der Hinweg. Im Gegenteil, er ist steiler und gefühlt ein ganzes Stück länger. Irgendwann erreichen wir die Wetterstation und dankbar setze ich mich auf einen der Stühle, trinke die eine oder andere Tasse Tee. Lange wird der Abend nicht. Ich bin ziemlich müde und lustigerweise stört mich das rausfallsichere Bett jetzt auch gar nicht mehr.