03.06.2009

Königreich der Wunder

Ziemlich genau am 23.08.2007 um 11.32 Uhr habe ich den Entschluss gefasst, die Tempel im Angkor Stil genauer kennenlernen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt war ich in Ayutthaya in Thailand und habe eine kleine und bescheidene Tempelanlaga aus der Angkor Zeit angucken dürfen. Da ich ja eh schon in Kambodscha war (ich bin eigentlich nur der Tempel wegen hingefahren), habe ich die Gelegenheit geschnappt und bin losgezogen, um ein bisschen Unesco Weltkulturerbe Luft zu schnuppern. Siem Reap lebt eigentlich nur von Touristen, die die Tempel angucken. Entsprechend ist alles deutlich auf diese Menschengruppe ausgelegt. Die Straßen sind asphaltiert, es gibt Straßenlaternen und jede Menge Unterkünfte in jeder Preiskategorie. Ich entscheide mich für ein wenig Luxus und nehme für 10US$ pro Nacht ein Einzelzimmer mit Klimaanlage. Beim Einchecken wusste ich ja noch nicht, wie nötig ich den Luxus haben würde. Es ist schon dunkel und ich plansche noch eine Weile im Fußabdruck-Pool, bevor ich mich in mein King-Size Bett fallen lasse. Mein erster Tempel-Tag beginnt früh, ich habe schließlich viel vor. Mit einem Motorad-Taxi (kostet 8US$ pro Tag, inkl Fahrer) mache ich mich auf den Weg zur großen Runde. ungefähr 30km lang ist dieser Rundweg. Zwischendurch immer mal wieder ein Tempel zum Angucken. Einige der Tempel sind größer und imposanter, andere kleiner und verwunschener. Jeder dieser Tempel hat seine eingene, besondere Stimmung. Ein wenig genervt bin ich nach dem 3. Tempel von den Kindern und Erwachsenen, die mir ihre Souvenirs, kalten Getränke oder Hilfe anbieten wollen. Haben die denn nichts anderes zu tun???
Und wie können die sich überhaupt jeden Tag den Eintritt leisten? 40$ für ein 3-Tages-Ticket ist schon eine Menge. Ach, Kambodschaner müssen gar nichts bezahlen. Naja wenn das so ist... Ich blättere zum Spaß mal den angebotenen Lonley Planat Cambodia durch. Kein Wunder, dass er nur 2$ kosten soll. So eine schlechte Kopie habe ich noch nie gesehen. Schief und krumm, halbe Seiten fehlen, verzerrte Bilder. Ich lasse es einfach. Nur einen Tempelführer habe ich mir gegönnt. Der hat auch gleich etwas mehr gekostet, dafür ist der Umschlag auch aus Pappe, nicht nur aus Papier. So und wie fange ich jetzt an, von den Tempeln zu berichten? Schwierig. Also mein Fahrer hat mich am ersten Tempel des Tages, Pre Rup, absteigen lassen und mir gesagt, er würde genau dort auf mich warten. Es ist ein wenig warm, um nicht zu sagen heiß. Ich bekomme einen Schweißausbruch nach dem nächsten. Dieses kleine Tempelchen, eher ein Tempel-Berg, also ein ziemlich hoch aufgetürmtes Bauwerk, besticht vor allem durch die filigranen Schnitzereien (oder wie heißt das in Steinen?). Dass sowas möglich ist. Am ersten Tempel habe ich ja noch nicht gewusst, was für Reliefarbeiten ich noch sehen würde. Ich lese, dass die meisten Tempel nach einem ähnlichen Muster aufgebaut sind. Den Eingang stellt eine "Gopura", eine Eingangshalle dar, dann folgen rechts und links meist 2 sogenannte Bibliotheken, die vermutlich nie Schriftstücke enthalten haben. Dann erst kommt das eigentliche Tempelgebäude. Die meisten Tempel stellten das Zentrum der Stadt dar. Jeder König hat seine eigene Stadt und entsprechend seinen eigenen Tempel gebaut.
Vorsichtig klettere ich die steilen Stufen des eigentlichen Tempels hoch. Die Stufen sind so gebaut, dass möglichst wenig Platz benötigt wird. Es ist steil. Und die Stufen sind hoch. Mal eben so locker die Treppe hochlaufen ist hier nicht drin, ich muss mir jede Stufe mühsam erkämpfen. Die einzelnen Stufen sind nämlich so hoch, dass sie mir locker bis zu Mitte des Oberschenkels reichen. Und ein wenig ausgetreten sind die Stufen auch. Der Blick der sich mir dafür auf der oberen Terasse des Tempels bietet ist überwältigend. Ich bin hier mitten im Urwald. Hohe grüne Bäume umgeben den Tempel, der rotbraungoldgelb in der Sonne unter dem blauen Himmel leuchtet.
Weiter geht es zum nächsten Tempel. Die Fahrt führt vorbei an Reisfeldern und badenden Wasserbüffeln, duch Alleen exotischer Bäume und endet wieder an einem Parkplatz. Die Motorrad- und Tuktukfahrer haben ein gutes Leben hier. Sie fahren Touristen von einem Tempel zum nächsten und haben während der Besichtigung immer frei. Da vor jedem Tempel immer Fahrer sind, wird ihnen nie langweilig. Sie sitzen in der Sonne oder im Schatten, schlürfen gemütlich Kokosnüsse und haben viel Zeit sich über die Eigenheiten der Touristen auszustauschen.
Ein noch kleinerer Tempel, der allerdings etwas abseits der Straße liegt. Der Stil ist sehr ähnlich, es gibt wieder einen zentralen Turm und eine Bibliotehk, eine Eingangshalle, nein 4 Eingangshallen. In jede Himmelsrichtung eine. Traditionell wurden die Tempel von Westen aus betreten. Je nach dem welcher Eingang jetzt am sichersten restauriert ist, kann man heute auch von anderen Seiten in die Tempel hineingehen. Die Tempel wurden ursprünglich als hinduistische Tempel gebaut, sind nach der Buddhaisierung (oder wie auch immer die Verbreitung des Buddhismus heißt) umgeweiht worden. Viele der Gravuren in den Wänden zeigen Hindu-Gottheiten und Hindurituale, während in der Mitte des Tempels eine Buddhafigur steht. Spannend.
Als die Tempel von den Franzosen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt wurden, waren sie mehr oder weniger zerstört und vom Dschungel überwachsen. Die meisten Anlagen sind weitesgehend restauriert worden oder werden immer noch wieder hergerichtet. Nur 2 Tempel sind so geblieben, wie sie gefunden wurden. Einer davon ist in der großen Tour zu finden. Preah Kanh stellte sich als dieser Dschungeltempel heraus. Die Bäume wachsen dort überall, als sei das Dach eines Steingebäudes, die beste Muttererde, die man sich als Baum so vorstellen kann. Ich kann mich gar nicht sattsehen an den Formationen, die die Natur hier geschaffen hat, um sich das zurückzuholen, was ihr vorher genommen wurde. Eine Beschreibung für die von Baumwurzeln zusammengehaltenen Mauerwerke zu finden, fällt mir schwer. Mystisch ist es auf jeden Fall. Mittlerweile hat die Sonne soviel Wasser zum Verdunsten gebracht, dass der Himmel gänzlich mit Wolken verhangen ist. Trotzdem ist das Sonnenlicht grell und gleißend. Eine merkwürdige Kombination. Die Wolken haben aber immerhin den Vorteil, dass die Sonne nicht mehr direkt auf die Erde niederbrennt, sondern ein bisschen gefiltert ankommt und nicht mehr ganz so heiß ist. Dafür wird es jetzt noch schwüler. Nun gut (oder nicht gut). Am Ende der großen Tour stehen Angkor Thom und Angkor Wat an. Angkor Thom ist ein riesiges Gelände mit vielen Tempeln und Terasse und Stadttoren. Die Stadt Angkor Thom ist die am besten erhaltenste Stadt mit dem Herzstück Bayon und dem königlichen Palast. Ich beginne meine Erkundungstour an der Terasse der Elefanten. Die Reliefs bestehen aus vielen, vielen Elefanten. Ich weiß gar nicht, wo ich als erstes hingucken soll. Elefanten wurden auch genutzt, um die Steine für den Bau der Anlagen zu beschaffen. Weiter zur Terasse des Lepra-Königs. Der König war keineswegs krank, aber die Steine sind nur so angegriffen, dass das Portrait des Königs so aussieht, als wäre seine Haut von Lepra zerstört. Das Bayon ist ein weiterer riesiger Palastkomplex. Wie ein Angkor Wat in klein. Angkor Wat, der wohl bekannteste Tempel, ist eines der größten spirituellen Gebäude der Welt (wenn nicht sogar das größte). In der Mitte des Tempels ist eine steinerne Lotusblüte zu finden. Ein Turm, der aussieht, wie eine Lotusblüte, umgeben von mehreren kleinen Türmchen. Auf jedem Stein sind Figuren eingraviert. Apsaras, die göttlichen Tänzerinnen, von denen sich keine zwei Figuren gleichen. Der ganze Komplex ist umgeben von Kanälen, die eigentlich angelegt wurden, um den Transport der Steine zu ermöglichen, die heute eine ganz eigene spirituelle Bedeutung haben. Sie symbolisieren den Urozean. Insgesamt ist Angkor Wat eines DER nationalen Symbole Kambodschas. Es ist nicht nur auf den Geldscheinen zu finden, sondern auch auf der Flagge des Landes. Und ich muss sagen: mit Recht!
Am Abend wollte ich eigentlich wieder schwimmen gehen, aber ein Gewitter macht mir einen Strich durch die Rechnung. Mehr als 3 Stunden blitzt uns donnert es gewaltig, Regen prasselt auf das Hostel und macht es drinnen noch gemütlicher als sonst.
Am nächsten Morgen strahlt die Sonne und die Erde dampft. Es ist noch feuchter als sonst. Und ich Esel habe mich heute für die kleine Tour auf dem Fahrrad entschieden. Neben der anstrengenden Fahrradtour stelle ich auch noch begeistert fest, dass ich sehr wohl in der Lage bin ein und denselben Fehler mehr als einmal zu machen. Schon im 2. Tempel stelle ich fest, dass meine Kameraakkus wieder leer sind. Aaargs! Ich Trottel... Ich finde während meiner Fahrradtour meinen Lieblingstempel. Er ist ebenfalls vom Urwald überwuchert, aber noch verwunschener und noch mystischer. Die riesigen Bäume sind atemberaubend schön, wie sie sich über die Mauern ziehen. Wurzeln hängen in der Luft, auf der Suche nach Erde, einige der Mauern werden nur noch durch Bäume zusammengehalten, die sie eigentlich zerstören. Stirbt ein Baum, fällt die Mauer in sie zusammen, die einst dem Baum eine Möglichkeit gegeben hat, zu wachsen. Eine interessante Symbiose oder Antibiose?
Ich fahre weiter und erkunde verschiedene Tempel. In Ta Keo fühle ich mich ein wenig an Mexiko erinnert. Der Tempel lässt sich nur durch Treppen erreichen, die sich sicher auch zum Herunterstürzen und sichern Töten von Feinden eignen würden. Dachte ich gestern noch, die Treppe sei steil, habe ich in diesem Tempel eine neue Form von "steil" kennengelernt. Mehr oder weniger auf allen vieren krieche ich die Stufen hoch. Drei Stufen entsprechen meiner Höhe. Der Stein ist heiß, was das Festhalten nicht wirklich erleichtert. Oben wiederum weht ein kühles Lüftchen, was mir sehr gut gefällt. Ich setze mich in den Schatten eines Fensters und lese ein bisschen, genieße die Aussicht und vor allem, versuche zu trocknen. Immer wieder laufen ganze Schweißfluten an mir runter. Nächstes mal komme ich im Winter! Das runterklettern ist noch mal aufregender als das Hochklettern. Konnte ich auf dem Hinweg doch sehen, was mich erwartet, muss ich jetzt auf das Tastvermögen meiner Füße vertrauen. Sie tasten gut und bringen mich sicher und wieder schweißgebadet zu meinem Fahrrad zurück. Ich mache einen Zwischenstopp bei Angkor Wat und Angkor Thom, einfach weil es dort so viel zu sehen gibt und ich nicht mal den halben Tempel gesehen habe. Ich könnte Wochen hier verbringen...
Der Abend naht und ich will den Sonnenuntergang auf einem weiteren Tempelberg genießen. Am Fuß des Hügels von Bakheng treffe ich zum ersten mal auf richtige Bettler. Eigentlich hatte ich die schon vermisst. Ob die nur hier sitzen dürfen? Kinder mit zerissenen T-Shirts halten stumm ihre Hand auf, Männer und Frauen, kaum älter als ich, grausam verstümmelt sitzen am Wegrand und bitten um eine Spende und Mütter mit ihren Babies, einige sicher behindert, zumindest ließ die Kopfform mich das vermuten, betteln um Essen. So hatte ich mir sowohl Kambodscha als auch Vietnam vorgestellt. Ich bin wieder einmal hin und her gerissen, was zu tun ist. Auf der einen Seite will ich die Menschen nicht leiden lassen, auf der anderen Seite ist Geld geben auch keine Lösung. Ich teile also den Rest meiner Magosteen und "fragt-mich-nicht-wie-sie-heißen-Früchte" mit den Menschen dort. Und den Rest meiner Riel bekommt die Organisation Child Sage Cambodia. Gewissensberuhigung hat geklappt.
Den Abend verbringe ich wieder planschend im Wasser und genieße die Vorzüge der modernen Welt mit dem Internet.