01.06.2009

Warum funktioniert das Gehirn, wie es funktioniert?

Ein Park mit tropischen Pflanzen, die Kokospalmen wiegen sich im sanften Wind und die Bananenbäume spenden angenehmen Schatten. Bunte Schmetterlinge flattern über die Wiese, deren Gras saftig und in sattem grün in der Sonne leuchtet. Hühner laufen herum, baden im Sand oder suchen sich die besten Körner aus der reichen Auswahl. Andere Hühnchen liegen im Schatten auf ihren Nestern und brüten die kleinen Babyküken aus. Zwischen den Blättern und Blüten der majestätischen Bäume schimmert ein Tempel durch. Vor dem Tempel werden Räucherstäbchen und Blumen verkauft. Der Tempel ist mit seinen 15 Etagen mehr als imposant. In jeder dieser Etagen liegen Relikte aus einer vergangenen Zeit.

Skelettierte Schädel!

Der Park ist kein Park, es ist ein Friedhof. Ein Friedhof ohne Grabsteine. Keine in Reihen angeordneten Gräber mit Blumenschmuck, sondern inzwischen eingesunkene Massengräber. Einige der Grabstellen sind mit Schildern versehen. „Massengrab mit 400 Opfern“ Die Opfer der dunkelsten Seite der Geschichte Kambodschas, die Terrorherrschaft der roten Khmer finden hier ein Mahnmal. Ich wusste wo ich hinfahre. Der Park ist besser bekannt als Killing Fields. Die größte Hinrichtungsanlage der roten Khmer. Alle, die dem Terrorregime nicht in den Kram passten wurden erst in ein Gefängnis gesteckt, dann gefoltert und dann hingerichtet. Das Gefängnis und die Folter konnte wahlweise auch weggelassen werden, nur die Hinrichtung am Ende, die ließ sich nicht umgehen. Die Welt hat 3 Jahre lang vor dem Fernseher gesessen und zugeschaut, bis sich Vietnam gedacht hat „so ja wohl nicht“ und den roten Khmer einmal ordentlich die Meinung gesagt hat und und somit hatte das Regime nach mehr als 3 Jahren ein Ende. Das heißt nicht, dass die roten Khmer sich in Luft aufgelöst hätten. Bis in die 90er Jahre verübten ihre Guerillatruppen immer wieder Anschläge.

Wenn ich mir jetzt vorstelle, dass meine Generation hier, die erste Generation nach der Terrorherrschaft ist, kann ich es kaum glauben. Phnom Penh, die Hauptstadt ist eine moderne Metropole. Es gibt Einkaufsszentren, W-Lan, eine Müllabfuhr und insgesamt sieht die Stadt sehr ansprechend aus.


Ich habe neben dem Cheeseburger-Index, der einen Anhalt für Vermögen der Bevölkerung bietet, noch einen weiteren Index erfunden. Der Cheeseburger-Index lässt sich in Ländern ohne McDonald nur schwer anwenden. Daher jetzt der Tankstellen Index. Ein Land ist „arm“ wenn an der Tankstelle ausschließlich Benzin verkauft wird. Also Zapfsäule plus Kassenhäuschen spricht eher für eine wenig wohlhabende Bevölkerung. Kann man an der Tankstelle schon Produkte, wie Motoröl und neue Reifen kaufen, geht es den Leuten auch entsprechend besser. Ein reiches Land hat kleine Einkaufszentren, die an die Tankstelle angeschlossen sind. Ehrlich gesagt war ich sehr überrascht, in Phnom Penh und nun auch hier in Siem Reap solche Mini-Supermärkte zu finden. Vielleicht habe ich das Land einfach wieder falsch eingeschätzt... Das soll jetzt nicht heißen, dass es keine armen Menschen hier gibt. Im Gegenteil, es gibt sicherlich eine Menge Menschen, die nach unserem Verständnis „arm“ sind. Eben solche, die kein Wasser und keinen Strom, kein Haus und kein Bett haben. Aber insgesamt wirkt Kambodscha auf mich nicht bettelarm. Zum Betteln später mehr...

Ich wollte eigentlich noch über das S21 schreiben. Die Buchstabenkombination klingt ja erstmal nicht weiter spannend. Dahinter verbirgt sich die Abkürzung für das größte Gefängnis, das während der Terrorherrschaft der roten Khmer in Phnom Penh stand. Eigentlich mal eine Schule, dann ein Foltergefängnis und heute ein Museum. Die Gebäude sind weitgehend unverändert und bieten eine Reise in die Vergangenheit. Es fängt an mit langen Fotowänden. Fotos von Frauen und Männern. Alle Frauen haben die Haare kinnlang geschnitten. Mir gefällt die Frisur, bis ich lese dass es keine Mode war, sondern Vorgabe des Regimes. Mich erinnert die Atmosphäre an die eines KZ. Bedrückend. Atemraubend. Traurig. Hier, genau wo ich langlaufe, sind Menschen gefoltert worden. Wieder haben die Folterer bei den Nazis und im Vietnamkrieg gut aufgepasst und sich jede bestialische Kleinigkeit gemerkt. Wie kann es sein, dass das menschliche Gehirn die abartigsten Foltermethoden behält, nicht aber ein Signal sendet, wenn es an der Zeit wäre zu helfen? Warum kann sich das Gehirn Brutalität und Unmenschlichkeit merken, nicht aber Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe? Ich will hier nicht auf einzelne schließen, sondern ganz allgemein über „die Welt“ schreiben. Es hat mich tief berührt zu lesen, dass in den Jahren der Terrorherrschaft der roten Khmer Millionen Menschen verschwunden sind. Von heute auf morgen, einfach weg gewesen. Bei einer Einwohnerzahl von 8 sind 3 Millionen Menschen 1/3 der gesamten Bevölkerung. Selbst wenn es „nur“ 2,5 Mio waren, die ermordet wurden, so bleibt die Zahl erschreckend hoch. Die Ausstellung ist einfach und einprägsam. Tafeln lassen mich die Geschichte lesen und Bilder zeigen mir, wie grausam Menschen sein können. Die Zellen der Gefangenen sind noch im Original vorhanden. 80cmx200cm. Das ist kleiner als ein Bett! Betten gab es keine, die Gefangenen mussten auf den Fliesen schlafen. Einige Fenster wurden verglast, damit die Schreie der Gefolterten nicht nach außen dringen konnten. Ein Schaukelgerüst im Hof wurde als Galgen genutzt. In einem Raum hängt eine lange Liste mit Grabstätten. Hier sind die heute bekannten Massengräber verzeichnet. Mal lese ich 140, mal mehrere Tausend und dann 510.000. Die Zahlen der gefundenen Opfer. Im letzten Raum der Ausstellung sind symbolisch Schädel aufgereiht. Das Mengenverhältnis Mann zu Frau (3:1), die Todesart (Erschießen, Erschlagen oder oder oder), das Alter. Dieses mal ist es nicht die Hitze, die mir das Atmen erschwert. Es ist eben nicht schon „lange“ her. Dieser Genozid ist kurz vor meiner Geburt passiert. In der Hoffnung, dass die Welt nach solchen Erfahrungen nicht wieder den Fehler macht und wegguckt (und leider mit dem Wissen, dass die Welt nicht gelernt, sondern wieder weggeguckt hat) mache ich mich auf den Weg zum Bus. Ich will Kambodscha nicht als Land purer Grausamkeit in Erinnerung behalten.
Es gab nämlich auch ganz andere Zeiten.