Die nächste Tour startet am Flughafen. Wie jetzt? Wandern am Flughafen? Naja, ich muss ja erstmal hinkommen und mit dem Bus fahren, würde mehrere Tage dauern. Inlandsflüge in Nepal sind ganz sicher ein Erlebnis der besonderen Art. Als erstes muss man seinen Schalter finden. In meinem Fall den von Simrik Air (darf übrigens NICHT in Europa landen). Dort stehen schon ganz viele Menschen und wedeln wild mit Armen und Beinen. Zur angegebenen Abflugzeit kommt ein Mensch mit einem Laptop und fängt an, die Passagiere und ihr Gepäck zu wiegen. Dann darf ich zum Sicherheitscheck. Ein kleiner, dunkler Raum und eine Security-Lady. Sie tastet mich sehr oberflächlich ab. Also eigentlich gar nicht. Und dann guckt sie in meinen Rucksack. Zumindest wirft sie einen Blick in das Hauptfach. Jetzt ist es schon eine Stunde nach angegebener Abflugzeit. Und immer noch kein Flugzeug da. Nach einer weiteren Stunden landet ein Flugzeug, das seine besseren Tage wohl schon erlebt hat. Schnell einsteigen, die Motoren werden nicht mal ausgestellt. Keine 10 Minuten hat der Bodenkontakt des Flugzeugs gedauert. Und dann geht es los. Würde man dem Flugzeug ein Messer unterschnallen, könnte man den Rasen auf den Bergen mähen. Und könnte ich das Fenster öffnen, könnte ich an den Berghängen zu meiner linken Seite, die Bäume und Blumen berühren. Ich genieße das bequeme Abenteuer und lasse mich von den wundervollen Ausblicken verzaubern. Himalaya in der Sonne und ich schwebe.
Statt mehrere Tage, dauert diese Reise nur 25 Minuten. Und dann sind wir in Pokhara. Puuh, warm und feucht. Ich fahre mit einem Minibus weiter nach Beni. Dort treffe ich meinen Guide. Der Trek muss immer mit einem lokalen Guide gegangen werden. Es ist ein Gemeinde-Projekt. Touristen sollen hier einen Guide mieten (der hat dann Arbeit) und in Homestays bzw Gemeindehäusern schlafen und dort auch essen (Gemeinde bekommt Geld). Die Einnahmen gehen direkt an die Gemeinden, die damit Solaranlagen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen finanzieren. Eine gute Idee, wie ich finde. Allerdings ist der Myagdi Parbat Eco Trek noch in den Kinderschuhen und durchaus ausbaufähig.
Die Wanderung startet in Galeshwar. Es geht von der Straße über eine Hängebrücke in den Dschungel. Es ist warm, um nicht zu sagen unsagbar heiß. Und feucht. Innerhalb weniger Sekunden bin ich nass geschwitzt. Dazu trägt natürlich auch der Weg bei. Es geht bergauf und zwar auf Treppen. 600 Meter höher sind wir am Tagesziel. Ich lüfte meine Füße und freue mich über eine gute Tasse Tee. Dazu gibt es Gurke, direkt aus dem Garten. Abgewaschen mit frischem Leitungswasser. Ich bin vollkommen kaputt und lege mich bis zum Abendessen hin. Das Dal Bhat ist wieder sehr lecker. Ich hatte mir etwas mehr Kontakt mit den Leuten bei denen ich wohne versprochen, aber das dauert bis zum nächsten Morgen. Vom Gemeindehaus bis zum Schlafhaus, muss ich durchs ganze Dorf gehen. Es ist dunkel und die Wege sind schmal und rutschig. Ich freue mich auf mein Bett. In meinem Zimmer erwartet mich schon Eddis. Ein kleiner Kerl mit schönem Pelz und eleganten, langen Beinen. Erstmal ein Foto. Dann suche ich den Reiseführer, weil der ein Lineal drin hat. Eddis Größe muss dokumentiert werden. Leider verschwindet Eddis bevor ich ihn zusammen mit dem Maßbahn fotografieren konnte. Zurück bleibt der kleine Bruder, der einer großen europäischen Spinne gleicht. Zum Glück habe ich so die Möglichkeit Eddis Größe zu dokumentieren. Ich bin so froh, dass ich so müde war, dass ich sofort eingeschlafen bin. Und das obwohl ich das Ticken und Tacken von Eddis Beinen gehört habe. Draußen zirpen die Riesengrillen und machen dabei einen Riesenlärm. Ich bin im Urwald, im Dschungel - ganz anders als ich Nepal erwartet hätte.
Der erste volle Wandertag im Urwald startet wieder mit Treppen. Puuh, es ist ganz schön anstrengend und warm. Neblig und feucht außerdem. Eine Pause an einem Tempel. Ich kann mich nicht mehr erinnern für welchen der 330 Millionen Hindugötter dieses Tempelchen geweiht war. Der Weg ist nur teilweise erkennbar und ich verstehe, warum ein Guide nicht nur für das Projekt, sondern auch für mich, unentbehrlich ist. Einige Teile des Weges sind einfach nur Matschlöcher. Das wiederum bedeutet, dass ich bis zu den Knöcheln, einmal sogar bis zu den Knien, im Matsch wate. Ich hasse es! Die Leute hier nutzen den Weg als Handelsweg. Alle ca 30 Minuten ist ein Rastplatz eingerichtet. Eine Art Steinhügel, oft mit einem großen Baum drauf, der Schatten spendet. Fast jeden Tag, habe ich meine 1,75 l Wasser schon vormittags ausgetrunken und bekomme im Mittagsrestaurant frisches Wasser. Das Gemeindeprojekt umfasst auch die Trinkwasserversorgung. Das Trinkwasser wird mittels eines einfachen Filters auch für europäische Bäuche verträglich gemacht. Auch wenn ich scheinbar von innen mit Asbest ausgekleidet bin, benutze ich lieber dieses System, als das Wasser direkt aus der Leitung zu trinken. Mal sind wir zum Mittag schon am Übernachtungsort, mal essen wir in einem Dorf Mittag und gehen dann weiter zum nächsten Dorf. Ab dem 3. Wandertag lerne ich eine neue Form von Naturmedizin kennen. Blutverdünnung aus der Natur... Scheinbar wirke ich nicht nur auf Mücken sehr anziehend, sondern auch auf Blutegel. Auf dem Weg nach Mohare Danda, einem gemeinschaftlich genutzten Gemeindehaus auf 3300m, sammelt sich eine ganze Familie zu einem großen Festmahl - an meinem linken Knöchel. Einige Abtrünnige finden sich an meinem Hals und an meinem Bauch. Das schlimmste ist der Gedanke daran, dass die Viecher an mir sitzen könnten. Ich könnte Schreikrämpfe kriegen. Aber haben sie erstmal angedockt, ist es gar nicht mehr so schlimm. Es heißt nur aushalten und die Egelchen irgendwann wieder abmachen. Am besten gehen sie ab, wenn man sie mit Salz betäubt. Ein Beutel mit Salz gefüllt, gehört auf jeden Fall zur Ausstattung. In Mohare Danda angekommen, sitze ich auf den Stufen vor dem Gemeindehaus und tupfe vorsichtig auf dem Egelfest an meinem Fuß herum, bis alle Tiere losgelassen haben. Dann heißt es warten. Warten, bis es aufhört zu bluten. Komprimieren hilft nicht. 1,5 Stunden lang blutet. Blutverdünner aus der Natur. Es soll ja gesund sein. Jetzt muss ich wirklich sehr, sehr gesund sein.
Das Wetter ist nur zum Teil auf meiner Seite. Es ist meistens bewölkt und zwar mit den Wolken direkt um mich herum. Wo sind denn jetzt diese tollen Berge hin? Und dann plötzlich, morgens in Mohare Danda, tauchen die Gipfel wieder auf. Was ist es, was mich an diesen Bergen so fasziniert? Kaum steckt einer dieser Giganten seinen Gipfel durch die Wolken, bekomme ich Herzklopfen. Und eigentlich kann ich mir doch nichts schöneres als das Meer vorstellen. Nepal, Du brauchst ein Meer!
Nach dem Höhenerlebnis von Mohare Danda, geht es erstmal wieder bergab. Und irgendwann sind wir in Swanta. Ein unscheinbares Örtchen, dachte ich erst. Der Ausblick von meinem Zimmer ist grau. Ich kann die Wäsche auf der Leine sehen und den Garten, in dem Mais, Kohl und Kürbis (noch nicht reif) wachsen. Der Mais wir gerne gegrillt und dann als Snack gegessen. Wenn man Hunger hat, schmeckt doch alles extrem gut...
Statt Dal Bhat gibt es auch mal Dhindo, eine Pampe aus Buchweizen. Oder das gleiche aus Mais. Jeweils als Ersatz für den Reis beim Dal Bhat. Also gibt es den Brei, Linsen, Curry und ab und zu auch mal Fleisch. Mal Wasserbüffel, mal Ziege, mal Hühnchen. Aber immer sehr, sehr lecker. Mittags entweder Chapati unterwegs oder wir gehen essen.
Ach ja, Swanta. Abends regnet es. Und zwar richtig, nicht so pillepalle Regen, wie oft in Europa. Es ist ein wahrlicher Wolkenbruch. Ich kuschel mich derweil in meinen Schlafsack und verschlafe so das meiste vom Gewitter. Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist es hell. Heller als die Tage zuvor und direkt vor meinem Fenster stehen sie. Fishtail und andere Berge des Himalaya. Zum Weinen schön. Leider zieht es sich im Laufe des Morgens wieder zu. Aber hey, ich habe diese wundervollen Berge gesehen und die Bilder in mir gespeichert. Vor Stromausfall und Serverdefekten geschützt.
Nach dem ersten Egelangriff habe ich von dem Gemeindevorsteher in Nagi eine Flasche bekommen, deren Inhalt ich auf meine Schuhe reiben sollte. Das sollte die Tierchen abhalten, über die Schuhe an meine Beine zu kommen. Nach der 3. Behandlung scheint es auch zu klappen. Kein Blutegel saugt sich mehr an meinen Beinen fest. Allerdings merke ich auch
bald, dass meine Knöchel wehtun. Hilft nix, ich muss weitergehen. Abends
- dieses mal in Khopra Danda, 3660m hoch - entdecke ich warum meine
Beine so brennen. Da, wo die behandelten Schuhe mit mir in Kontakt
gekommen sind, wölbt sich die Haut in Blasen. Oh man, was mache ich denn
jetzt mitten im Himalaya mit Terpentinverätzungen an den Beinen?
Pflaster drauf und weiter, oder?! Genau.
In
Khopra Danda steht ein weiteres Gemeindehotel. Allerdings ist das
gerade nicht in Betrieb. Übernachten dürfen wir trotzdem. Und was zu
essen gibt es auch. Abends wird der Ofen angemacht und die Schuhe können
trocknen. Plötzlich ist es kalt. Was so ein bisschen Höhe doch
ausmacht. Auch hier regnet es wieder die ganze Nacht und am nächsten
Morgen zeigen Fischtail und Annapunra South, dass sie auch noch da
sind. Ein würdiger Abschluss der Wanderung. Denn jetzt geht es nur noch
bergab und zwar wieder mal Treppen. Puuh... 2500m bergab und mit jedem
Meter wird es wärmer und feuchter. Und technisch zivilisierter. Strom
gab es überall, meistens aus Solaranlagen. Aber je weiter wir nach unten
kommen, je mehr Strommasten gibt es.
Soll der Urlaub jetzt zu Ende
sein? Noch warten ein paar Tage in Pokhara auf mich. Aber erstmal nach
Tatopani, der Ort der warmes Wasser heißt. Hier gibt es eine
einbetonierte warme Quelle, wo man baden kann. Und eine Straße und
morgen wohl auch einen Bus, der nach Pokhara fährt. Ab jetzt wieder
blutegelfrei, dafür erfüllt von Eindrücken. Dankbar und mein Blut
großzügig mit Millionen Mücken teilend, schlafe ich eine letzte Nacht zu
den Geräuschen des Urwalds ein.