06.07.2016

So dicht an Tibet war ich noch nie

In Lo Manthang alleine gibt es viel zu sehen. Einen ganzen Nachmittag verbringe ich mit einer spannende Reisegruppe damit, die Kloster und den Königspalast zu bestaunen. Wir werden am Kloster vom Chefmönch abgeholt. Er erzählt vor allem über die Schule und seine Mönchskinder. Irgendwie kommt mir das bekannt vor... Die Schule hier ist für die Region recht groß und wird von westlichen Spendern unterstützt. Sonst, erzählt der Abt, könnten sie den Kindern keine Kleidung und kein warmes Essen geben im Winter. 

Rund um die Innenstadt von Lo Manthang ist eine 6m hohe Mauer gebaut. Die Mauer hat dem Erdbeben stand gehalten, während einige der anderen Gebäude deutlich Spuren des Bebens tragen. Hier haben die Menschen anderes zu tun, als sich um den Wiederaufbau zu kümmern. Auch wenn der Tourismus mehr oder weniger explodiert ist in den letzten 10 Jahren, kämpfen die Menschen doch jeden Tag für das wesentliche: einen vollen Bauch und ein warmen Platz zu Schlafen. Wenn dann noch Energie übrig ist, werden Kunstwerke gefertigt, in der Schule gelernt und Häuser gebaut. Der Abt auf jeden Fall, ist Stolz auf sein Kloster und seine Schule. Sein Ziel ist es, dass jedes Kind in Lo Manthang lesen und schreiben lernt - und natürlich die Grundzüge des Buddhismus, der hier den Alltag deutlich prägt. 

Insgesamt 3 Klöster dürfen wir uns angucken. Eines ist nicht mehr im aktiven Klosterbetrieb und ziemlich verstaubt, ein anderes wird gerade von der EU restauriert. Hier sitzen Männer und Frauen auf abenteuerlichen Gerüsten (wenn das mal die Geldgeber wüssten...) und malen mit winzigen Pinselchen die Wandgemälde neu. Der ganze Prozess ist in Wahrheit noch komplizierter. Zuerst werden die detailreichen Figuren nämlich abgepaust,dann auf übertragen, um erst dann wieder an die Wand gebracht zu werden. 
Fasziniert von der Fremdheit der heiligen Stätten gucke ich mir alles an. Auch nach vielen Erklärungen und einigen Besuchen werden mir buddhistische Tempel nicht vertrauter. Oder doch, ein bisschen schon. Ich weiß um einige Rituale und kenne die Bedeutung einiger weniger Symbole. Aber der Buddhismus an sich, wird mir dadurch nicht vertrauter. 

Ein langer Tag mit Erkundungen in Lo Manthang geht zu Ende und ich freue mich nach einer herrlichen Massage, die meinen rucksacktragenden Schultern wirklich gut getan hat, auf einen neuen spannenden Tag.

Der neue Tag soll mich nach Chhoser bringen. Ein Dorf, etwa 2 Stunden Richtung Tibet. Dort gibt es Höhlen, die ich besichtigen kann und ein weiteres Kloster. 
Der Weg ist leicht zu laufen und der Rucksack fast leer. Nachmittags werde ich wieder in Lo Manthang sein, ich muss also nichts weiter mitnehmen als Wasser und Kamera. Nach knapp 2 Stunden auf staubigen Wegen, immer mal ein bisschen rauf und runter, sind wir in dem Örtchen, das so dicht an Tibet ist, dass ich fast hinspucken könnte. Hier ist alles für die Touristen hergerichtet. Es gibt schöne Wegweiser und ein Restaurant/Souvenirgeschäft/Café. Als erstes geht es zum Kloster. Dort findet gerade eine Zeremonie statt (ein Gottesdienst, eine Andacht??). Ich werde schnell eingeladen, mich dazu zu setzen. Ein junger Mönch bringt mir eine Schale mit Gebäck. Am ehesten schmeckt es, wie sehr, sehr gut frittierte Hirschhörner. Süß und fettig, sehr knusprig und vielleicht nicht gerade von heute morgen. Aber schmecken tut es trotzdem. Ich versuche dem Ablauf zu folgen, was mir natürlich nicht gelingt. Wo soll ich denn zuerst hingucken?

Alle 10 Mönche sitzen entlang der Wände des winzigen Raumes. Die Buddha Statue am Kopfende des Raumes ist mit einer Neonröhre beleuchtet. Einer der Mönche rezitiert in ein Mikrofon. Er scheint eine leitende Funktion zu haben. Die anderen fallen in den Singsang mit ein, blättern hier und da in ihren tibetischen Büchern und singen zumeist mit geschlossenen Augen. Hin und wieder gucken die Jungs auf ihr Handy, kichern und essen ein paar Kekse. Dann geht einer herum und schenkt frischen Tee ein. Eine gute Stunde folge ich dem, was ich für einen Gottesdienst (also das buddhistische Äquivalent) halte und lasse das Fremde, was mich mit soviel Energie für den Alltag füllt, auf mich wirken. 
Vor dem Kloster treffe ich auf eine alte Frau. Sie sieht unsagbar alt aus, das Gesicht von tiefen Falten durchfurcht, die Augen trüb. Sie trägt eine tibetische Tracht, die ihre besten Tage schon hinter sich hat. Um ein Foto machen zu dürfen, soll ich ihr Geld geben. Ich gebe ihr den kleinsten Schein, den ich habe (10 Rupees), das ist in etwa das, was sie am Tag verdient. So sind wir am Ende beide zufrieden. Ich, weil ich ein schönes Foto gemacht habe, mein Modell, weil sie schon am Vormittag so viel verdient hat, wie sonst erst am Abend. Das Mittagessen für diesen Tag ist gesichert. 























Ich will weiter zu den Höhlen. Nur 10 Minuten ins Tal hinein ist eine kleine Treppe in den Fels gebaut. Nach einer Weile kommt ein kleiner, dünner, betrunkener Mann und schließt die Tür auf. Ich darf raufklettern und bin auf der einen Seite fasziniert, auf der anderen Seite enttäuscht. Es sind Höhlen, ja. Aber da ist irgendwie nichts mystisches, nichts geheimnisvolles, nichts spannendes beim Durchgehen. Die Geschichten von den tibetischen Freiheitskämpfern, die sich hier vor einem halben Jahrhundert versteckt haben, die finde ich spannend. Und auch die tibetischen Mönche, die vor vielen hundert Jahren, diese Höhlen zum meditieren genutzt haben sollen. Aber wer die Höhlen, die zum Teil 50m hoch in die senkrecht aufragende Felswand gebaut sind, gegraben hat, bleibt vorerst ein Geheimnis. 

Nach einer Tee-und-Mango-Pause in dem urigen Café, geht es zurück. Das erste mal umkeheren... In dem Café/Laden/Restaurant gab es allerlei spannendes zu kaufen. Tuborg Bier, wie überall, Nutella, Fake Money, Becher, Eier, tibetische Schuhe, Nike Schuhe, Seife und Nudeln. Chinesische Süßigkeiten, Cola, scharfe Sauce, Waschmittel, Vorhängeschlösser, Kekse, Snickers und Werkzeug. Und sicher noch sehr viel mehr, wenn ich nachgefragt hätte. 

Auf dem Weg zurück, machen wir einen kurzen Stopp im Mustang Museum. Eine Familie hat ein paar Artefakte gesammelt und sie in eine Vitrine gelegt. Die Vitrine steht allerdings etwas abseits in einem Lagerraum. Die Exponate hätten durchaus einen anderen Platz verdient. Beschwingt und zufrieden mit dem Tag, trotz des traurigen Museums, geht es zurück nach Lo Manthang. Dort warten die Hotelbesitzer schon mit frischen Momos auf mich.